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Staub Im Paradies

Titel: Staub Im Paradies
Autoren: Ernst Solèr
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die so ehrgeizig war wie Gret. Kein Wunder, dass sie allein lebte!
    Aber auch er war leider Single, seit mehr als zwei Jahren schon. Ein ziemlich ambitionierter Versuch mit einer Dentalhygienikerin im vergangenen Herbst hatte nichts gebracht außer Ärger und Selbstzweifel: Die Frau war bald zu ihrem Exfreund zurückgekehrt, einem Historiker, der in seiner Freizeit als Nordic Walker herumstöckelte und zwanzig Jahre älter war als sie. Nicht gerade die Art von Konkurrenz, gegen die man gerne den Kürzeren zog. Die Geschichte nagte immer noch an Mario.
    Er musste dringend über seine Zukunft nachdenken. Am besten irgendwo am Meer. Überstunden, die es abzubauen galt, hatte er weiß Gott genug, und da er außerdem recht flott fuhr, reichten ihm knapp sechs Stunden an die Côte d’Azur. Er würde Michael nach der Sitzung fragen, ob er ein paar Tage freimachen könne, irgendwelche spannenden Fälle standen derzeit ohnehin nicht an.
    Ohne Staub fehlte etwas im Sitzungssaal, das musste sich Minuten später auch Mario eingestehen. Die Mitarbeiter von Besondere Verfahren kauerten hinter den hufeisenförmig angeordneten Pulten wie eine Herde hirtenloser Schafe. Eng beisammen und leicht desorientiert. Michael Neidhart mühte sich zwar wacker, Energie zu versprühen, aber Staubs Charisma hatte er zugegebenermaßen nicht. Sofern man die Launenhaftigkeit und das selbstgefällige Gebaren des Alten denn als Charisma bezeichnen wollte.
    »Wir haben eine Anfrage um Unterstützung von der städtischen Leib und Leben «, richtete Michael einen Blick in die Runde, der wohl optimistisch wirken sollte, aber vielmehr leichte Unsicherheit verriet. »Sie haben einen erstochenen Tamilen und vermuten, dass es um Schutzgelderpressung oder um was Politisches geht, wofür ihnen angeblich die Zeit fehlt.«
    »Wie bitte? Was denken die sich eigentlich? Dass sie jeden schwierigen Fall einfach an uns abtreten können?«, erboste sich Kollegin Bea Tschannen.
    Der greise John Häberli unterstützte sie mit einem Hustenanfall. Auch Mario zog skeptisch die Mundwinkel nach unten.
    »Es kann sicher nicht schaden, wenn wir uns die Leiche mal anschauen, denke ich«, ignorierte Michael alle Einwände. »Gret und Mario, würdet ihr das übernehmen? Weit ist es nicht. Der Tote liegt immer noch vor dem Hinterausgang des Kinos Riff Raff. «
    Also schon wieder eine beschissene Leiche. Mario war in der Stimmung, spontan zu kündigen. Aber leider zahlte sich seine schmucke Dreizimmerwohnung in Erlenbach nicht von selbst. Genauso wenig wie der neu geleaste Peugeot 307, die feinen Anzüge und die Segelkurse im Sommer. Seufzend erhob er sich und schlich hinter Gret her, die bereits auf den Gang hinausgelaufen war. Er hätte auf seinen Vater hören und wie sein Bruder eine Banklehre machen sollen.

Staub fliegt ins Paradies
    Ich sitze in einer Boeing 767 der deutschen Fluggesellschaft Condor am Fenster und betrachte die Wolken unter mir. Eigentlich müsste ich aufs Klo. Aber ich verspüre wenig Lust, mich in den engen Gang hinauszuzwängen, obwohl ich in der Fliegertoilette wenigstens meine Ruhe hätte. Meine liebe Ehefrau Leonie neben mir befindet sich nämlich gerade in einer hochgradig erregten Diskussion mit Adrienne, der konfusen Freundin meines Sohnes Per. Es geht um die jüngste gewalttätige Geschichte Sri Lankas. Während Leonie ihr aus drei Artikeln der Neuen Zürcher Zeitung zusammengeklaubtes Wissen zum Besten gibt, erhitzt sich Adrienne über solch böse Dinge wie den Kolonialismus und die Globalisierung. Es würde mich nicht wundern, wenn ich schon in den nächsten Minuten schlichtend eingreifen müsste. Wenn der Flieger nicht sogar notlanden muss.
    Mein Sohn Per hat es natürlich wieder mal schlau angestellt und döst in der Reihe hinter uns träge vor sich hin, fern aller streitlustigen Verwandten.
    Wir befinden uns derzeit irgendwo über dem Mittelmeer und werden Sri Lanka in rund fünf Stunden erreichen. Tochter Anna hat versprochen, dass sie uns am Flughafen abholt, und will uns dann erst mal in ein Fünfsternehotel an der Südküste bringen, wo wir uns akklimatisieren sollen.
    »Woran denn?«, hatte ich sie am Telefon gefragt und sie hatte mir daraufhin so ungefähr alles aufgezählt, was mir traditionell auf die Nerven geht: Hitze, Feuchtigkeit, Lärm, Menschenmassen, scharfes Essen und Insekten aller Art.
    Ich freue mich durchaus, Anna zu sehen. Schade nur, dass sie nicht im Tessin nach Hirschkäfern sucht, sondern im Dschungel Malariamücken
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