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Staub Im Paradies

Titel: Staub Im Paradies
Autoren: Ernst Solèr
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lynchen.
    Der Besitzer des Minitaxis geleitet mich in den Schatten eines Baumriesen auf eine ausgebreitete Zeltplane, wo mir eine ältere Frau Tee reicht. Ich stürze das Gebräu hinunter und verbrenne mir fast den Gaumen. Gleichzeitig sauge ich wie ein Verdurstender an meiner Zigarette. Eine Schar Kinder beobachtet das Schauspiel aufmerksam, und die Vorwitzigste unter ihnen, ein etwa zehnjähriges Mädchen, fragt mich: »Where you’re from?«
    »Switzerland«, antworte ich wortkarg.
    »Switzerland is very nice«, meint die Kleine. »My big sister lives there. In Bulak!«
    »Bülach?«, hake ich nach.
    »Yes, in Bulak. Very nice!«
    Eine halbe Stunde später ist sowohl zahlreich Militär in Tarnanzügen als auch ein Zweiertrüppchen khakibraun uniformierter Polizei vor Ort. Während die Soldaten sofort ausschwärmen und den Busch durchkämmen, wenden sich die beiden Polizisten an mich und notieren sich umständlich den Namen des Toten.
    »Did you know him?«, fragt mich der ältere der beiden, ein kleiner, ziemlich feister Mann mit fleischigen Händen, dem der Schweiß über das Gesicht läuft.
    »Not really«, antworte ich wahrheitsgemäß und oute mich dann als ein Kollege aus Zürich.
    »You’re a police officer?«, wundert sich der zweite Uniformierte, ein eher hagerer Typ, der ein steifes Bein nach sich zieht.
    »Ähm, yes. On vacation.«
    »Welcome to paradise!«, verzieht der dickere der beiden sein feistes Gesicht zu einem kurzen Lächeln. »What’s your name?«
    »Staub«, sage ich. »Fred Staub, from Zurich, Switzerland.«
    »I’m Chief Inspector Verasinghe and very pleased to meet you«, sagt er förmlich. »Did you see anything?«
    »No«, muss ich einräumen.
    Inzwischen ist einer der Militärs zu uns getreten, ein drahtiger kleiner Mann in einer grünen Paradeuniform, die aussieht wie frisch gebügelt. Allerhand Glitzerkram auf der Brust des Offiziers signalisiert, dass er wohl ein ziemlich hohes Tier ist. Verasinghe neben mir senkt jedenfalls bescheiden den Blick.
    »Fucking rebels!«, spuckt der Mann aus.
    Dann schreit er einer Horde Soldaten hinterher, die jetzt ungefähr dort herumstolpert, von wo die Schüsse hergekommen sein müssen.
    »Everything is under control«, versichert er mir stolz. »Don’t worry!«
    Nein, wozu auch. Man hat ja lediglich gerade einen Landsmann von mir erschossen. Und meine Tochter rast, begleitet von schießwütigen Idioten, mit einem Schwerverletzten den Berg hinunter in eine Kleinstadt, in der es nicht einmal funktionsfähige Kühlschränke gibt.
    Ich setze gerade zu einer launigen Antwort an, als der Lärmpegel um uns herum einen neuen Höhepunkt erreicht. Grund der Aufregung ist ein auf uns zufliegender Kampfhelikopter. Ein Teil der Leute um uns schlägt sich umgehend in die Büsche, und auch Verasinghes Blick verrät Unwohlsein. Der Typ des sri-lankischen Militärs entfernt sich ein paar Meter und tobt in sein Funkgerät.
    »Was machen wir jetzt?«, frage ich Verasinghe.
    »Wir bringen Ihren toten Kollegen hinauf in die Forschungsstation.«
    »Sie kennen das Projekt?«, wundere ich mich. »Meine Tochter arbeitet dort.«
    Er lächelt und gibt seinem Kollegen irgendwelche Anweisungen. Der Besitzer des Minibusses winkt mir von Weitem zu. Er hat richtig erkannt, dass ich fürs Erste ausreichend betreut bin. Am Rande bemerke ich noch eine kleine, mir unverständliche Diskussion zwischen Verasinghe und dem Chefmilitär, bei der mein Polizeikollege untertänig zu Boden starrt wie ein prügelgewohnter Hund. Dann fahren wir los.

Gret trifft Tamilen
    Natürlich brachte die Befragung des Wirts aus dem Siva gar nichts. Gret hatte es auch nicht erwartet. Alle Fragen bezüglich möglicher Konflikte zwischen den Tamilen in der Stadt wurden höflich, aber unnachgiebig ignoriert. Der Wirt lebte seit siebzehn Jahren gern hier, wie er in leidlich gutem Deutsch betonte, und pries die Schweiz in den höchsten Tönen. Unter seinen Landsleuten herrschte Friede, Freude, Eierkuchen. Mit dem Catering an den Filmnachmittagen wechselte man sich ab, sodass alle tamilischen Wirte in der Gegend etwas davon hatten. Von den Streitereien hatte er nicht das Geringste mitbekommen. Und den Toten kannte er nicht.
    Gret lief die Quellenstrasse hinauf und bog links in die Josefstrasse ab. Sie passierte weitere Lokale und Geschäfte mit Namen in tamilischer Schrift, darunter eine Videothek, einen Spielzeug- und Kinderbekleidungsladen sowie den Coiffeurladen Saleh, in dem man sich die Haare für nur
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