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Staub Im Paradies

Titel: Staub Im Paradies
Autoren: Ernst Solèr
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Zigarettenpackungen auf dem Tisch neu.
    »Sie sind Kommissar, nicht?«, fragt mich Rainer, als sich Anna kurz auf die Toilette zurückzieht.
    »Im Moment bin ich in den Ferien«, stelle ich klar.
    Rainer lacht verschämt und versteift sich leicht auf seinem Hocker. »Natürlich, Entschuldigung«, meint er.
    Ich bedaure sofort, ihn so rüde abgewürgt zu haben. Denn er sagt jetzt einfach überhaupt nichts mehr, sodass ich mich ebenfalls nicht mehr getraue, ihn meinerseits ein wenig auszufragen. Über das Forschungsprojekt etwa. Beziehungsweise über gewisse Mitarbeiter des Projekts, die meine Tochter zu faszinieren scheinen. Ich drücke die Goldleaf aus und überlege mir, ob ich gleich mit einer Muratti nachräuchern soll, um dem Kratzen im Hals Abhilfe zu schaffen. Noch habe ich fast acht Packungen der zollfreien Stange, die ich in Zürich-Kloten gekauft habe, um über die Runden zu kommen. Hoffentlich reichen sie aus.
    »Was sucht ihr denn eigentlich in der Stadt?«, fragt Anna die Kollegen, als sie zurückkehrt.
    »Frisches Fleisch«, antwortet ihr Rainer sofort. »Und Benzin natürlich, für unsere Generatoren.«
    »Wir haben doch noch kanisterweise Sprit«, wundert sie sich.
    »Sicher ist sicher«, meint Rainer beharrlich. »Plötzlich kommt es wieder zu Engpässen und wir gucken dumm aus der Wäsche.«
    »Der Generator hier läuft jedenfalls schon nicht mehr«, deute ich zustimmend auf den toten Kühlschrank in der Ecke des Lokals.
    »Eben«, sagt er. »Der verdammte Krieg.«
    »Bekommt ihr hier oben denn überhaupt etwas von den Unruhen mit?«, frage ich.
    Alle drei schütteln den Kopf.
    »In Form von Gewalt nicht«, erläutert mir Jürg. »Der Westen und Süden sowie das Bergland gelten als sicher. Aber natürlich schadet der ewige Terror dem Land ungemein. Es wimmelt hier von Krüppeln. Die Inflation ist haarsträubend, die Touristen bleiben mehr und mehr aus, Versorgungsengpässe sind die Regel.«
    »Aha«, sage ich mangels anderer geistreicher Ideen.
    Kurz nach vier brechen wir auf. Anna übernimmt die bescheidene Rechnung und überreicht dem Barmann einen zerfledderten Hundertrupienschein, was ungefähr einem Franken entspricht. Annas Kollegen haben ihren Jeep, einen klobigen Nissan Patrol, um die Ecke geparkt und fahren wenig später davon, wobei sie eine mächtige rote Staubwolke aufwirbeln. Wir rattern forsch hinter ihnen her, erst durch nicht enden wollende Kautschuk- und Kittulpalmenplantagen, dann eine immer steiler werdende, löchrige Piste hinauf, die eher einem Bachbett gleicht als einer Straße. Links und rechts erheben sich knorrige Baumriesen, und urplötzlich steuern wir mitten durch dichten Urwald.
    Ein todesmutiger Velofahrer mit übervollem Gepäckträger rast uns entgegen. Von hinten nähern sich brüllend ein bis zum Dach gefülltes Minitaxi sowie zwei knatternde Motorräder, die laut hupend an uns vorbeidonnern, als befänden wir uns gerade auf einer sechsspurigen Autobahn.
    »Verkehrserziehung gehört hier nicht zu den Pflichtfächern, oder?«, frage ich Anna durch den Fahrtlärm hindurch.
    Sie schüttelt den Kopf: »Die rasen alle wie die Irren, das ist so.«
    Wobei auch Annas Kollegen vor uns plötzlich gewaltig ins Schlingern kommen. Mehr als das. Anstatt die anstehende Linkskurve zu nehmen, bricht der Jeep plötzlich nach rechts aus und fährt zu meinem Entsetzen ungebremst geradewegs in einen Felsbrocken am Rand.
    Der Aufprall ist heftig. Es kracht und splittert und dann schrillt die Hupe los.
    Ich sehe das Grauen in Annas Augen.
    »Verflucht!«, presse ich hervor, springe aus dem Auto und renne zu dem Unfallwagen.
    Entsetzen ergreift mich.
    Rainer Schütz ist tot, das erkenne ich auf den ersten Blick. Trotzdem fühle ich ihm den Puls – natürlich vergebens.
    Was zur Hölle ist hier gerade geschehen?
    Wenn ich durch die Hitze zwischenzeitlich nicht wahnsinnig geworden bin, wurde Annas Kollege soeben erschossen. Anders kann ich die Wunden in seiner Brust und die Löcher in der zerkratzten Windschutzscheibe nicht deuten. Jürg neben ihm dagegen lebt, hat sich beim Aufprall aber offensichtlich das Gesicht zerschlagen und ein Bein gebrochen. Er stöhnt jämmerlich, Blut und Tränen laufen ihm über das Gesicht. Anna beugt sich kreidebleich über ihn, komplett fassungslos. Auch ich fühle mich wie gelähmt.
    Dann bricht das Chaos über uns herein. Dutzende Einheimische umringen uns und schreien wie von Sinnen wüst durcheinander. ›Doctor‹, ›Tamil‹, ›Clinic‹ ist alles, was
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