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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld
Autoren: Eva-Ruth Landys
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Mal zu einem weiteren verzwirbelt. Jede Drehung des Garns erhöhte dabei die Reißfestigkeit der Fasern. Schließlich wurden jeweils vier der so hergestellten noch recht groben Garnfäden im Speed Frame, an dem Cathy arbeitet im Roman, eingespannt und zu einem weiteren, schon recht festen, aber noch zu dicken Garn gesponnen, das dann seinen Weg zu den Spinning Frames – wie erwähnt im Stockwerk darüber – fand.
    Der Lärm, den der Betrieb jeder einzelnen dieser Maschinen entwickelte, war beträchtlich. Man muss sich zudem vor Augen halten, dass weit über Hundert davon jeweils in einem Raum untergebracht waren, wobei die Transmissionsriemen, die die Maschinen antrieben, vollkommen ungesichert neben den in langen Röcken arbeitenden Frauen liefen.
    Jeden Morgen wurde im Hof der Fabriken neue Baumwolle angeliefert, die in großen und sehr schweren Pressballen in der Markthalle Manchesters zu Tagespreisen verkauft wurde. Der Bedarf an Baumwolle aus den Kolonien war in Manchester geradezu spektakulär zu nennen. Baumwollhändler mit Plantagen in den Kolonien (zum Beispiel den Südstaaten Nordamerikas), aber auch die Produzenten verdienten enorme Vermögen. Es ist deshalb auch nicht weiter verwunderlich, dass die erste Eisenbahnlinie der Welt, unter Mühen durch ein Sumpfgebiet verlegt, diejenige zwischen dem Welthafen Liverpool und der Stadt Manchester war und bereits 1830 eröffnet wurde. Es ging den Auftraggebern einzig und allein um die Transportwege der Baumwolle.
    Die Anlieferung und Erstverarbeitung der Baumwolle war Aufgabe der männlichen Arbeiterschaft in einer Spinnfabrik nach dem Muster des Ashworth'schen Unternehmens. Eine ausgesprochen kräftezehrende Arbeit, da die Baumwoll-Pressballen sehr schwer waren und von drei kräftigen Männern kaum zu heben. Auch war die Baumwolle so stark zusammengepresst, dass es eines beachtlichen Muskeleinsatzes bedurfte, um diese aus dem Ballen zu lösen. Die so gelöste Baumwolle wurde im Hopper Feeder grob gereinigt und aufgelockert. Eine weitere Maschine, der Scutcher, diente dann dazu, aus dem Gewebe eine Art Watte herzustellen, die im Carding Room weiterverarbeitet werden konnte.
    Natürlich bildeten sich nebenher etliche weitere zuarbeitende oder weiterverarbeitende Industriezweige wie Färbereien, aber auch Maschinenbau und Energietechnik (gerade zwischen 1835 und 1845 entstanden immer neue Typen von Hochdruckdampfmaschinen, die den Wirkungsgrad – das heißt, die Kraftausbeute der Maschinen bei gleichem Kohleverbrauch – weiter verbessern sollten). Das Zentrum des Maschinenbaus und des Stahl- und Eisenbaus lag jedoch im nahen Birmingham. Beide Städte waren durch das erwähnte Kanalsystem miteinander verbunden.
    Bald schon ersetzten aber die Eisenbahnlinien die bisherigen Transportwege.
    So ist Manchester das Paradebeispiel für die Industrialisierung und deren innovative wie gleichzeitig finsterste Seiten, aber auch der Geburtsort mehrerer für unseren Eintritt in die Moderne maßgeblichen Gesellschafts- und Staatstheorien. London hingegen ist der Prototyp der Großstadt schlechthin – als damals größte Stadt der Welt und Hauptstadt eines beeindruckenden Imperiums voller Dynamik, Kultur und Grandiosität, aber auch überbevölkert und belastet mit entsetzlicher Verelendung und Not. So stehen beide Städte in der jüngeren Historie geradezu exemplarisch für menschliche Schuld, rücksichtslose Barbarei und Gleichgültigkeit, aber auch für die beeindruckende Kraft menschlichen Ideenreichtums.

Literaturliste
    Literaturliste
    Prof. Dr. Immanuel Geiss (Hrsg.). Chronik des 19. Jahrhunderts. München: Chronik-Verlag, 1997.
    Peter Wende. Das Britische Empire – Geschichte eines Weltreiches. München: Verlag C.H. Beck, 2. Auflage 2009.
    Gottfried Niedhart. Geschichte Englands in 3 Bd. München: Verlag C.H. Beck, 1987.
    Insa Holst, Hendrik Fischer. Geo Epoche – Die Industrielle Revolution. Hamburg: Gruner & Jahr AG, 2008.
    Herbert Tingsten. Königin Viktoria und ihre Zeit. München: Diederichs-Verlag, 1997.
    Edgar Feuchtwanger. Königin Viktoria und ihre Zeit. Zürich: Verlagsgesellschaft Hans Hansen-Schmidt mbH, 1. Auflage 2004.
    Lindsey German and John Rees. A People's History of London. London: Verso, 2012.
    Peter Barben London – A History in Maps. Publication No. 173. London: Topographical Society, 2012.
    Cathy Ross and John Clark. London: The Illustrated History. London: Penguin Books, 2011.
    Jerry White. London in the 19th Century. London: Vintage Books,
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