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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld
Autoren: Eva-Ruth Landys
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annähernd zu unterbinden war, funktionierte dieses System hauptsächlich unter Androhung und Anwendung schwerster Züchtigungen. Selbst das Heben einer Hand wurde schon bestraft. Auspeitschungen waren an der Tagesordnung.
    Ein gefeierter Reformversuch war das im neu erbauten Petonville Prison angewandte Separate System, das die Gefangenen in geheizten Einzelzellen und bei ausreichender Nahrung unterbrachte. Jedoch mussten sich die Gefangenen beim ohnehin äußerst selten gestatteten Verlassen der Zelle maskieren. Die einzigen sozialen Kontakte fanden mit dem Gefängnisgeistlichen und dem Personal statt. Bald schon wurde deutlich, dass das System den Ausbruch von Wahnsinn bei den Gefangenen stark begünstigte. Charles Dickens fühlte sich dennoch bemüßigt, das System als »Kuschelgefängnis« zu diffamieren. Selbst das Herabsetzen der Höchststrafe in Petonville von achtzehn auf zwölf Monate brachte indes keine Erleichterung. Die Rate der geistigen Zerrüttung unter den Gefangenen blieb doppelt so hoch wie in anderen Gefängnissen.
    Angesichts dieser Umstände ist offensichtlich, dass das Prinzip der Abschreckung in der englischen Rechtsprechung der Zeit tonangebend war. Infolgedessen wurden auch weiterhin öffentliche Hinrichtungen zelebriert, wenn auch nicht jede Exekution öffentlich stattfand. Besonderes Augenmerk möchte ich dabei noch auf den Umgang mit Homosexuellen richten. Im Roman erwähnt Isobels Onkel, der Earl of Branford, die Hinrichtung einiger Sodomisten (Homosexueller). Dieser Fall war spektakulär, aber auch andere Homosexuelle ereilte später ein vergleichbar beklagenswertes Schicksal. 1810 hob der Vorläufer der Polizeibehörden in London, die Bow Street-Magistratur, einen Sodomisten-Club in einem Pub aus. Auch der Wirt des Pubs White Swan gehörte zu den Festgenommenen. Alle 13 Delinquenten wurden zum Tode verurteilt. Während jedoch sieben von ihnen lediglich gehängt wurden, mussten die restlichen sechs eine entsetzliche Tortur über sich ergehen lassen. Auf einem kilometerlangen Weg wurden sie auf einem Karren durch die von vielen Schaulustigen gesäumten Straßen Londons gezogen. Dabei wurde von den Behörden ausdrücklich erlaubt, dass die Bedauernswerten von den Zuschauern mit Unrat, Exkrementen und Abfällen beworfen wurden. Zusätzlich wurden den Gefangenen von ihren Henkern Schnittwunden zugefügt, damit die Jauche besser eindringen konnte. Nach kaum zweihundert Metern, so berichtete ein Augenzeuge, waren die sechs nicht mehr als menschliche Wesen zu erkennen. Dann wurden sie an einen Pranger gebunden und stundenlang von fünfzig vom Magistrat ausgewählten Frauen aus dem Volke weiter malträtiert. Diesen Fischweibern, Marktfrauen und Schlachtersgattinnen stellte der Magistrat sogar Bier zur Stärkung zur Verfügung. Dann wurden die Gefangenen losgebunden und über eine andere Route, wo sie weiteren Schmähungen ausgesetzt wurden, zum Hinrichtungsplatz geführt, wo sie schlussendlich gehängt wurden. Sie mögen den Tod als Erlösung empfunden haben. Dies Beispiel menschlicher Bestialität – und das zu Anfang des 19. Jahrhunderts in einer der angeblich zivilisiertesten Gesellschaften Europas! – zeigt die Beurteilung sexueller Andersartigkeit sowohl vonseiten des Staates wie auch der Bevölkerung. Mit Homosexuellen kannte man keine Gnade, sie wurden Opfer ungebremsten Hasses und niederster menschlicher Regungen.
    Neben der Strafverfolgung spielt im vorliegenden Roman auch das Thema Polizei eine größere Rolle. Dazu sei angemerkt: Scotland Yard wurde 1829 auf Betreiben des damaligen Innenministers Robert Peel gegründet. Zwar gab es bereits zuvor polizeiähnliche Strukturen wie die Bow Street Runners und private Bürgerwehren, aber diese Kräfte waren nicht annähernd in der Lage, die polizeilichen Aufgaben in einer Großstadt wie London zu erfüllen. Die Metropolitan Police, so der offizielle Name der neuen Behörde, beschränkte ihre Tätigkeit zunächst auf Innen London und die angrenzenden Stadtteile mit Ausnahme der City (Bankenviertel und Protektorat Lord Wellingtons). Jedem Stadtteil wurde eine Division zugeordnet mit einem Superintendent, zwei bis vier Inspektoren und diesen untergeben jeweils vier Sergeants und 32 Constables. Die Divisionen in den Stadtteilen wurden mit einem Großbuchstaben gekennzeichnet. Scotland Yard (Division A), zuständig für den Regierungsbezirk und Whitehall, war gleichzeitig das Headquarter. Entgegen des heute schon fast legendären Rufs der
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