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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld
Autoren: Eva-Ruth Landys
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Epizentrum der Theorie der Moderne entstanden aus dem Leid Unzähliger.
    Zeitgenössische Gemälde zeigen häufig eine von Smog bedeckte Stadt inmitten einer verwüsteten Landschaft, die ihren bedauernswerten Einwohnern kaum Luft zum Atmen lässt und zweifellos an den Vorhof der Hölle gemahnt. (Siehe auch das Vorsatzbild in diesem Buch, das jedoch ein wenig über die tatsächlichen Verhältnisse hinwegtäuscht. Dem Künstler ging es zweifellos mehr darum, das Prosperieren der Stadt beschönigend darzustellen. Dennoch weisen die vielen rußenden Schlote und der verdunkelte Himmel auf die Realität hin.) Weit mehr noch erschrecken erste Fotografien, die nach 1850 in den Höfen und Gassen der Arbeiterviertel aufgenommen wurden.
    Die Situation in den Fabriken war kaum besser. In Manchester florierte vor allem die Spinnindustrie, Webereien hatten sich andernorts, vorwiegend in Lancashire, aber zum Beispiel auch in Trowbridge (siehe den ersten Teil der Trilogie, Die dritte Sünde) angesiedelt. Die Fabriken waren im Wesentlichen immer gleich aufgebaut. Es gab die einflügelige oder die doppelflügelige Variante. Die Dampfmaschinen, die die Treibriemen der Spinnmaschinen in Gang hielten, befanden sich an der Seite der dreistöckigen Gebäude (beim doppelflügeligen Fabriktyp jeweils in der Mitte), gesichert durch dicke Mauern. Dies geschah nicht umsonst, denn die Hochdruckdampfmaschinen, die etwa ab Mitte der Dreißigerjahre des 19. Jahrhunderts die Niederdruckdampfmaschinen nach dem Watt-Typ mehr und mehr verdrängten, waren hochgefährlich. James Watt, der ein sensibler und verantwortungsvoller Mann war, geißelte sie nach mehreren entsetzlichen Unglücken als Teufelsmaschinen. (Die Explosion einer solchen Dampfmaschine beim Bau von Schloss Neuschwanstein in Bayern, ein Unglück mit mehreren Toten, führte zur Gründung des deutschen TÜV.) Dampfkesselexplosionen kamen häufiger vor und legten immer wieder ganze Produktionsstätten in Schutt und Asche, fraglos mit hohen Opferzahlen. Aber auch die tägliche Arbeit an den Ofen selbst war unerträglich zu nennen und forderte großen menschlichen Tribut. Abgase, enorme Hitzeentwicklung ... kaum einer der bedauernswerten Arbeiter konnte dem allzu lange standhalten. Doch das war nicht die einzige Gefahr für Leib und Leben, die einem Arbeiter in der Baumwollindustrie drohte. Ein weiteres Problem war der überall umherfliegende Faserstaub. Durch elektrische Aufladung der Kleinteile in der Luft kam es auch dort immer wieder zu verheerenden sogenannten Faser- oder Staubexplosionen. Aber selbst wenn dies ausblieb, so lagerten sich die Kleinteile in den Atemwegen ab und führten zur gefürchteten Staublunge, einer Krankheit, der viele Arbeiter und vor allem Kinder erlagen. Der Lärm und die fehlende Sicherung der Maschinen taten das Übrige. Tödliche Arbeitsunfälle waren an der Tagesordnung und besonders die Kinder lebten gefährlich. Ihre Aufgabe war es zumeist, die Maschinen während des Betriebs von überzähligen Faserknäueln zu befreien, beziehungsweise, unter den berühmten Spinning Mules, die im dritten Stockwerk einer jeden Fabrik das eigentliche Garn herstellten, störende Objekte oder Fasern, die die fahrbaren Schlitten behindern konnten, zu entfernen. Dafür wurden in der Regel sehr junge, da körperlich noch kleine Kinder eingesetzt, die (nach der Arbeitsreform 1832) nur zehn Stunden am Tag zu arbeiten hatten. Sie mussten, wenn der Schlitten mit dem zu spannenden Garn an den Mules bis zu drei Yards (ca. 2,70 m) herausfuhr, flink unter die gespannten Fäden kriechen, den Boden für den zurückfahrenden Schlitten säubern und rasch wieder hinauskriechen. Ein Vorgang, der nur wenige Sekunden in Anspruch nehmen durfte. Ein zurückfahrender Schlitten indes konnte ein Kind problemlos töten, wenn es dazwischen geriet.
    Nicht besser erging es den Arbeiterinnen im Stockwerk darunter, im sogenannten Carding Room. Hier waren mehrere Arbeitsschritte notwendig, um die Baumwollfasern in die gleiche Richtung zu kämmen (to card) und schließlich mehrfach zu verspinnen. Dazu wurde die vom unteren Stockwerk angelieferte, gelockerte Baumwolle zunächst in den Carding Engines zu langen Strängen gekämmt, die dann im darauffolgenden Schritt im Sliver zu einem sehr dünnen Vliesteppich verarbeitet und noch in derselben Maschine in einen lockeren, circa dreieinhalb Inch (ca. 8,5 cm) breiten Strang gedreht wurden. Im Drawing Frame wurden jeweils sechs dieser so hergestellten Stränge zwei
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