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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition)
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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zusammengekommen waren. »Nach allem, was wir durchgemacht haben!«

DIE WEISSE FLEDERMAUS
    Wenn sie gefragt wurde, warum sie sich so nennen ließ, erzählte die alte Griot -Frau eine Geschichte.
    Diese Geschichte, es war immer die gleiche, spielte abends, in der Nähe eines Baobabs. Eines sehr alten Baobabs, der nicht weit von einem Dogon -Dorf im Schutz der Falaise stand. In diesem Baum, so erzählte die Geschichtensängerin, war nun einer der größten Griot ihres Volkes bestattet.
    »Aber wann war das?«, wurde sie gefragt. Oder: »Wie hieß er?«
    Doch sie lächelte nur, zupfte ein wenig auf ihrer Valiha herum, die sie immer bei sich trug, und antwortete nicht.
    Sie wartete ruhig ab, bis die Leute um sie herum, die Hunderte von Kilometern zurückgelegt hatten, nur um sie zu hören, einander mit den Ellenbogen anstießen, damit die unwillkommenen Fragen aufhörten. Die Erzählung eines Griot durfte man nie unterbrechen. Wenn man es eilig hatte, brauchte man ja nicht dort zu bleiben. Schließlich gab es noch so viel mehr zu tun als den Worten einer alten Geschichtensängerin zu lauschen.
    Als es endlich ganz still wurde, fuhr sie fort, und wie eine tüchtige Weberin nahm sie den Faden ihrer Erzählung genau an der Stelle wieder auf, wo man sie unterbrochen hatte.
    »Da gab es diesen Baobab außerhalb des Dorfes, dessen Stamm so dick war, dass man fünfzig Männer gebraucht hätte, um ihn mit den Armen zu umfassen.« Hier lächelte sie, denn sie wusste genau, dass es einen so mächtigen Baobab nicht geben konnte. Aber inzwischen wagte es niemand mehr aus dem Publikum, ihr zu widersprechen.
    Und sie erzählte weiter: »Es war Nacht. Eine Nacht voller Sterne, unermesslich wie Geschichten, die man nicht kennt, und alle Bewohner des Dorfes waren hinter der Palisade hervorgekommen. In dieser Nacht ging sogar der Hogon mit ihnen und stützte sich dabei auf seine langen schwarzen Stöcke. Er sagte, man müsse die Nacht nicht mehr fürchten. Und es sei vielleicht an der Zeit, alte Gewohnheiten zu ändern, zumindest ein wenig.
    Dieser Hogon hatte einen Zwillingsbruder. Und der war ein Griot , der größte von allen. Er war zwar schon sehr alt und sehr schwach, doch sein Herz war von Glück erfüllt.
    Er setzte sich neben den Stamm des Baobabs, wie er es schon viele Abende zuvor in Gesellschaft seines Bruders getan hatte, lächelte allen zu, die gekommen waren, um ihn zu hören, und wunderte sich, dass es so viele waren. Der Griot meinte, in der Brousse und auf den unsichtbaren Pfaden der Falaise eine endlose Reihe von Fackeln zu sehen, die sich bis hinauf zur Hochebene zog. Sicher irrte er sich, denn so viele Menschen konnte es hier gar nicht geben, es sei denn, alle Ahnen seines Volkes wären zusammengekommen, um ihn singen zu hören.
    Und vielleicht war ja auch genau dies geschehen.
    Der alte Geschichtensänger nahm aus den Händen seiner Enkelin seine geliebte Kora entgegen. Er rückte sie auf seinen Knien zurecht und dachte, dass er gut daran getan hatte, sein schwarzes Gewand mit den aufgestickten Sternen anzuziehen. Und es war auch richtig gewesen, sich das Gesicht rot zu bemalen, um kräftiger singen zu können.
    Er spielte die ersten Töne, ließ ihnen weitere folgen, und als er sein Publikum betrachtete, erkannte er dort neben seiner Enkelin den Jungen, der einst ein Fennek gewesen war. Er sah seine Tochter und seine anderen Enkel, die vielleicht an diesem Abend endlich einmal bis zum Ende seines Liedes wach bleiben würden – und sei es auch nur vor Staunen und Respekt den anderen Gästen gegenüber: Hinter dem Esel Napoleon standen Bilal aus dem Land des Donners mit seinem blinden Begleiter und der rote Bilgo, der aus dem Süden kam. Da waren Sokorou Biegsame Knie und die Brüder Stimme des Windes. Da war Madou und natürlich auch Musoyuma, die Geschichtensängerin aus dem Volk der Peul .
    Ein wenig abseits von den anderen standen der neue Herr über die Stadt aus Sand und seine in einen safrangelben Schleier gehüllte junge Frau. Der Händler aus dem Volk der Bororo , der sie begleitete, wurde nicht müde, den stolzen Mann allen als seinen Freund Kabir vorzustellen.
    Da war auch eine Seele ohne Körper, die nicht bei den anderen Seelen auf den Pfaden der Falaise bleiben wollte, sondern sich mit Gewalt einen Weg durch die Menge bahnte, um in die erste Reihe vorzudringen. Eine weitere Seele balancierte auf dem markanten Felsvorsprung, schüttelte den Kopf und jammerte, weil sie glaubte, von dort oben würde sie
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