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Spiel der Teufel

Titel: Spiel der Teufel
Autoren: Andreas Franz
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bislang nicht einmal einen Kratzer in
der heilen Welt dieser Familie gegeben. Keine bekannte Affäre,
keine Ehekrise. Seit sieben Jahren war er mit seiner zehn Jahre
jüngeren Frau, die aus einer angesehenen estnischen Unternehmerfamilie
stammte, verheiratet, und jeder, der die beiden
kannte, bewunderte sie für deren vorbildliche Ehe. Alle, die
man in den folgenden Tagen und Wochen zum Teil mehrfach
befragte, zuckten nur resignierend mit den Schultern, denn
niemand hatte eine Antwort auf diese unfassbare Tat. »Erweiterter
Selbstmord«, so der Fachjargon, lautete der Vermerk in
den Akten, die noch längst nicht geschlossen waren und auch
noch lange geöffnet bleiben würden. Erweiterter Selbstmord,
da man davon ausging, dass er seinen eigenen Tod lange geplant
hatte, seine Frau und die Kinder aber nicht alleinlassen wollte
oder konnte.
    Und noch immer rätselten die Beamten, was diesen erfolgreichen
und angesehenen Mann veranlasst haben könnte, sich
und seine Familie zu töten. Die einzige vage und kaum haltbare
Vermutung war, dass er eventuell unter Depressionen litt, die
jedoch von keinem bemerkt wurden (was sowohl zwei zu Rate
gezogene Kriminalpsychologen und alle mit ihm in der Klinik
zusammenarbeitenden und befragten Ärzte und Chirurgen für
sehr unwahrscheinlich hielten).
    Von der Klinikleitung wurde er aufgrund seiner Fähigkeiten als
Chirurg geschätzt, von den Nachbarn als freundlich und hilfsbereit
geschildert. Was also hatte diesen Mann dazu gebracht,
sich und seine Familie zu töten? Keine Schulden, keine Ehekrise,
beruflicher Erfolg, fast ein Leben wie im Bilderbuch, und
doch musste es etwas gegeben haben, das ihn zu diesem letzten
und endgültigen Schritt bewogen hatte. Doch was? Was konnte
einen Menschen so verzweifeln lassen, dass er seine ganze
Familie auslöschte? Es war ein Rätsel, das vielleicht nie gelöst
werden würde, und wenn, dann höchstens durch einen Zufall,
durch etwas, das man fand, wenn man zum zehnten oder zwanzigsten
Mal den noch immer versiegelten großen Bungalow
durchsuchte, oder, was noch besser wäre, wenn sich jemand
melden würde, um womöglich den entscheidenden Hinweis zu
liefern oder wenigstens einen Ansatzpunkt, was die für vier
Menschen so tragische Nacht betraf.
    Als Henning und Santos zu dem Ort des Geschehens gerufen
wurden, lagen alle vier in ihren Betten, die Kinder schienen zu
schlafen, ihre Gesichter hatten etwas Friedliches, der Mann
hatte sich zu seiner Frau gelegt und hielt sie umarmt, als würden
sie ebenfalls nur schlafen. Nach Rekonstruktion des Tathergangs
wurde definitiv ausgeschlossen, dass es sich um eine
Affekttat handelte, denn der Arzt hatte alles akribisch vorbereitet.
    Es war ein tragischer und vor allem mysteriöser Fall, ein Fall,
wie man ihn so in Kiel und Umgebung noch nie erlebt hatte
und an den man sich noch lange erinnern würde. Aber vielleicht
gab es ja doch irgendwann eine Lösung des Rätsels, auch
wenn es erst in ein oder zwei oder zehn Jahren war.
    »Wollen wir heute Abend was unternehmen?«, fragte Henning
gegen vierzehn Uhr, nachdem sie eine Weile schweigend
in ihre Akten vertieft waren. Seit beinahe zwei Jahren waren
er und Lisa Santos ein Paar, aber nur inoffiziell. Jeder hatte
eine eigene Wohnung, obwohl Henning meistens bei Lisa
übernachtete, weil er es in seinem Verschlag, wie er seine kleine
Wohnung nannte, nicht aushielt. Eine Wohnung in einem
heruntergekommenen Viertel, ein Haus, in dem der Aufzug
fast jeden Tag kaputt war, ein Haus, in dem viele Menschen
wohnten, die von der Gesellschaft ausgespuckt worden waren
oder die sich selbst ins Abseits gestellt hatten. Er wollte dort
nicht mehr leben, aber es würde noch gut zwei Monate dauern,
bis er eine Wohnung in unmittelbarer Nähe von Lisa beziehen
würde.
    Sie hatten schon einige Male von Heirat gesprochen, doch dies
würde sie zumindest beruflich auseinanderbringen, was nichts
anderes bedeutete, als dass sie in getrennten Abteilungen arbeiten
müssten. Aber weder Santos noch Henning wollten
vom K 1 weg, zu lange waren sie schon hier und zu gut verstanden
sie sich mit ihren Kollegen, besonders mit Volker
Harms, ihrem Chef. Lisa hatte zwar schon mehrfach angedeutet,
dass sie gerne Kinder hätte, doch dafür müsste sie ihre
gerade begonnene Laufbahn für eine Weile auf Eis legen, denn
es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie in den Rang einer
Hauptkommissarin aufsteigen würde. Ihr ging es finanziell
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