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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut
Autoren: Uta Maier
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traf sich unser Blick. Unendlich tief. Die Töne kamen von allen Seiten, ich fing sie ein wie Sterntaler, sammelte sie in mir wie Gold. Ich kannte seine Melodie bereits, aber jetzt spielte sie ruhig, weil er nicht kämpfte. Sein Lied klang wie Silberwind und Schneesterne, sanft und flüsternd und gewaltig wie ein »Ich liebe dich«. Noch nie zuvor hatte ich etwa Schöneres gehört.
    »Ich hab gesagt: Komm mit! « Draca kreiselte herum, »diese Spiele konntest du vielleicht mit einem Angelus machen, bei mir steht darauf der Tod. Für dich vielleicht auch nur eine gehörige Dosis Schmerz …«
    Die Energie fuhr wie ein Blitz aus meiner Mitte in die Hände. Ich riss an dem Speer, mit all der Kraft, die Damontez noch für mich hatte. Komm schon, bitte …
    Mit einem Fuß stemmte ich mich an dem Stamm ab, bog den Rücken nach hinten, das Metall gab nach. Draca sprang auf mich zu, ich drehte mich um, die Spitze nach vorn. Das Spiegelblut machte ihn zu schnell. Ungebremst flog er direkt in das glänzende Licht des Diamanten, die Rubinaugen vor Überraschung und Schock geweitet. Stille rauschte für Sekunden durch mich hindurch. Eins, zwei, drei …
    Ich schrie auf, stieß ihn gleichzeitig mit dem Stab zurück. Sein Herz hatte ich verfehlt, aber er war schwer getroffen. Die Wunde qualmte unter dem Diamantlicht wie ein Schwelbrand. Ich riss die Waffe heraus, stach wieder zu, diesmal in seinen Bauch. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fiel er auf die Knie, kippte nach hinten. Ich bohrte den Stahl mit aller Gewalt in den Boden unter ihm. Fassungslos starrte er mich an, dann auf das schwarze Blut, das wie Öl aus der Quelle emporschoss.
    »Du hast etwas ganz Entscheidendes vergessen«, sagte ich. So sehr ich mich bemühte, meine Stimme fest und kalt klingen zu lassen, sie entglitt mir. Ich atmete ein paar Mal gegen den Schmerz an, den er mir und Finan zugefügt hatte. »Jeder Frühling bringt auch das Licht zurück!«, flüsterte ich und fing an zu weinen.
    Soll ich ihn töten, Finan? Ich würde es tun, wenn es dir Frieden bringt …
    Ich hatte mehr Glück als Verstand, dass er sich selbst in die Spitze gerammt hatte. Und dennoch … wenn ich ihn tötete, würde er seelenlos sterben. Auch wenn er es vielleicht verdiente, ich war nicht sein Richter. Eine solche Entscheidung konnte ich nicht fällen. Ich war zu sehr Mensch, nicht Dämon. Und es würde auch nur mir Frieden bringen, nicht meinem Bruder – wenn überhaupt! Aber den Speer herausziehen? Niemals!
    Ich löste meine zitternden Finger von der Diamantsonne. Das Transparent in mir gab nach, fiel zusammen. Ich war so müde … mit einem ängstlichen Blick drehte ich mich zu Damontez um. Er lehnte matt an dem Stamm, eine Hand auf seiner Wunde, aus der eine Fahne Rauch nach oben stieg. Seine Augen waren ganz klar. Ich atmete ein paar Mal tief durch, dann stolperte ich auf ihn zu, blieb wieder stehen.
    »Willst du immer noch mein Blut?«, fragte ich ein bisschen trotzig.
    Er sah mich an. »Es war zu keiner Zeit eine Frage des Wollens, Coco, sondern der Beherrschung. Gewollt hätte ich immer.«
    »Und – bist du beherrscht?« Ich gab mich stachelig und wäre ihm so gern um den Hals gefallen.
    »Spürst du es nicht?« Seine Blutung ging zurück, schloss das Feuer im Fleisch ein. Würde die Verletzung auch zu einer schwarzen Narbe werden? Ich betrachtete ihn lange. Zumindest kam es mir lange vor.
    Ich horchte in mich hinein und schüttelte den Kopf. »Heute fühle ich überhaupt nichts mehr.«
    Aber das war gelogen. Ich spürte, dass er mich liebte und sich zurücknahm. Ich spürte, dass er bereute, obwohl ihn kaum eine Schuld traf. Doch da war auch noch etwas anderes. Es lag ganz sicher nicht nur in meinem Blut, sondern auch in ihm. Es war Macht, die Macht eines Königs würdig. Ich nahm Remo durch ihn wahr. Es ging ihm besser. Vielleicht war er ebenfalls von der Diamantsonne verletzt worden und regenerierte sich in diesen Sekunden.
    Ich verpflichte dich zu nichts. Noch nicht!
    Ich sah in den Himmel und dankte den unergründlichen Mächten zum ersten Mal dafür, dass es in Schottland ständig trüb und regnerisch war.
    »Wenn du also«, setzte ich erneut an und machte noch einen vorsichtigen Schritt auf Damontez zu. »Wenn du dich also jetzt im Griff hast und nicht bei der nächsten Gelegenheit über mich herfällst …« Wieder sahen wir uns an. Endlos. Vielleicht minutenlang. Ewigkeiten? Fanden uns in der Einsamkeit des anderen. Ein Halbseelenträger und sein Spiegelblut.
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