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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut
Autoren: Uta Maier
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»Könnten wir dann bitte nach Hause gehen?«, fragte ich etwas kläglich.
    In seinem Gesicht erschien das erste echte Lächeln. Meine Knie wurden so weich, dass sie einfach nachgaben. Auf dem Boden kauernd fing ich an zu weinen, um alles, was ich in meinem Leben verloren und gewonnen hatte. Meine Finger zogen Furchen durch die Erde, gruben sich in den feuchten Grund, packten eine Faust voll davon. Ich war zornig und glücklich.
    »Coco«, flüsterte Damontez. »Shht, nicht weinen!« Er klang ganz wie Remo. Mühelos hob er mich hoch. Ein zweites Mal trug er mich durch die Nacht – oder vielmehr durch die Dämmerung.
    Ich wollte ihn. Ich wollte ihn unbedingt. Auch wenn er jederzeit zu einer Gefahr werden konnte, sollte Remo sterben. Diese letzte Konsequenz würde sich erst auflösen, wenn der Fluch brach. Und genau das würde ich tun: Den Fluch brechen.
    Mit mir auf den Armen trat er aus dem Wald auf die offene Fläche der Heide. Die Farben des Morgens lagen hinter den Wolken verborgen. Die Morgenröte … es gab so vieles zu klären. Aber jetzt war ich nur noch müde.
    »Coco«, flüsterte Damontez in mein Ohr.
    »Hm?«
    »In Rom sagte man früher: Nomen est Omen, der Name ist Schicksal, ein Zeichen. La vie, das bedeutet das Leben , nicht wahr?«
    Ich nickte und schlang meine Arme diesmal um seinen Nacken, drückte mich ganz fest an ihn. In diesem Augenblick war er alles für mich. Und so sollte es immer bleiben.
    »La vie – ein schöner Name für ein Spiegelblut!«
    Ich kicherte albern. »Damontez Aspertu. Der Teil eines Ganzen.« Dann wurde ich ernst. »Remo und Damontez. Damontez und Remo. Beide haben mein Leben gerettet. Der eine hat mein Blut getrunken, um mein Leben zu schützen. Der anderen hat mir seins aus demselben Grund gegeben.«
    Es war jetzt viel leichter, mit Remos Präsenz zu leben. Ob Damontez wusste, dass sie sich auch ein klein wenig ähnlich waren?
    Oh meine Güte, Coco, bist du dämlich! Sie teilen sich eine Seele. Wenn Damontez es nicht weiß, wer dann?
    Doch weder Damontez noch Remo waren notwendig, um den Fluch zu brechen. Einer von ihnen würde davon profitieren, sicherlich. Und wenn es nach mir ginge, wäre das auf jeden Fall Damontez! Aber letztendlich war es eine Sache zwischen mir und Pontus. Der Eine hatte die Seele von Hadurah gespalten. Und wie auch immer es passiert war: Ein Teil war durch die Jahrhunderte gewandert wie der sprichwörtliche Taler, weitergegeben durch die Liebe von Mensch zu Mensch. Der andere steckte in Pontus und würde vielleicht erst weitergegeben werden, wenn er starb. Wen er wohl liebte?

32. Kapitel
    »Nichts trägt einen Sinn in sich.
Der wirkliche Sinn der Dinge liegt im Gefüge.«
    ANTOINE DE SAINT-EXUPERY
    Hätte der Tod ein Gesicht, sollte es nicht aussehen wie das eines Engels. Der Tod sollte nicht mit einem falschen Lächeln heuchlerisch Glück wünschen, wenn er wusste, dass er dieses Glück zerstörte.
    Hätte der Tod ein Gesicht, konnte er ihr unmöglich mit diesem Antlitz in die Augen sehen. Diese wunderschönen Indigoaugen mit den Silberringen, die er von Anfang an geliebt hatte, die ihn hatten atmen lassen, als wäre er sterblich.
    Hätte der Tod einen Namen, sollte er kein Synonym für das Meer sein. Pontus – das Meer! Denn der Meeresspiegel war die Grenze der Engelmächte. Aber wenn er diese Grenze symbolisierte, wer würde sie dann noch retten können?
    Wäre der Tod ein Traum, und das war er, ein fragiles Luftschloss voller Hoffnung, wer konnte ihn wecken?
    Wenn Ahadiel seinen Tod aus dem Schicksalslicht herausgelesen hatte, wieso grübelte er? Schrieb sich das Schicksal nicht selbst?
    Und falls es das nicht tat und es doch in seiner Hand lag – welchen Sinn hätte dann sein Leben? Cheriour hatte gesagt, jedes Leben würde einen Zweck erfüllen. Was war der seine? War er selbst das Schicksal?
    Wäre der Tod aber das Schicksal, was gab es dann zu überlegen?
    Aber ich liebe sie! Bei meiner Unsterblichkeit. Als könnte ich in all den Jahren der Ewigkeit von dieser Liebe zehren.
    Doch die Liebe hält nicht für immer. Er wusste es, weil er es selbst erfahren hatte.
    Die Ewigkeit war stärker als die Liebe. Die Ewigkeit war eine uneinnehmbare Festung, gegen die er anrannte. Die Ewigkeit war bei Gott. Nur Gott war ewig. Zu sein wie Gott war Verdammung. Er war verdammt.
    Aber wäre der Tod verdammt, wie könnte er Coco anrühren? Wie könnte er Hand an sie legen?
    Aber er war ja nicht der Tod.
    Er fühlte sich nur wie Gott, unsterblich und
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