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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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anderes. Natürlich lernte ich schließlich Erik kennen, auf einem Maskenball in Wien«, sagt sie mit einem Aufblitzen ihrer Augen, das jedesmal erscheint, wenn sie seinen Namen erwähnt. »Das ist die Magie des Lebens. Es passiert auf eine Weise, die unsere Pläne herausfordert. Doch jetzt sind Sie dran«, drängt sie mich. »Sie haben mir noch kaum etwas über Ihr Schreiben erzählt und woran Sie momentan arbeiten. Ich rede schon viel zu lange.«
    »Aber ich möchte viel lieber noch mehr von Ihnen hören«, antworte ich.
    »Fair ist fair«, beharrt sie. »Wechselseitigkeit ist der Schlüssel, wissen Sie. Sie können einige meiner Bücher mit nach Hause nehmen, wenn Sie wollen.« Sie deutet auf den Bücherschrank. »Da finden Sie genug Informationen über mich.«
    Was soll ich ihr über das Schreiben erzählen, das sie nicht bereits weiß? Außerdem, je mehr ich über sie höre, desto mehr möchte ich wissen.
    »Ich arbeite momentan an nichts, also erzählen Sie mir von Ihrem neuesten Projekt. Ihr Schreibtisch scheint voller Recherchematerial zu sein.« Ich habe immer auf meine Fähigkeit vertraut, ein Gespräch von meiner Person abzulenken, und trotz ihrer Bemühung, mich in Gang zu bringen, scheint sie begierig darauf, über ihre eigene Arbeit zu sprechen.
    »Es geht darum, wie wichtig es ist, sein ganzes Leben lang zu spielen und die Regeln wieder zu verlernen, die andere für uns aufstellen. Das ist eines der Dinge, die ich an Ihnen mag. Dadurch, daß Sie sich abgesetzt haben, meine Liebe, haben Sie eine wichtige Regel gebrochen. Bravo!«
    Ich schaue in ihr lebhaftes Gesicht und erkenne das Verständnis, das ich bei anderen erst noch finden muß. Ja, diese |34| Fremde ist die erste, die meine Entscheidung tatsächlich bekräftigt. Ihre Anerkennung läßt mich strahlen. »Genauso habe ich zu mir selbst gefunden«, fährt sie fort. »Schon bevor ich nach Europa ging, bin ich immer weggelaufen, in den Wald, habe die Schule geschwänzt, ausprobiert, womit ich durchkommen konnte. Ich war mir meines Platzes in der Familie durchaus bewußt – ein drittes Kind und nicht gerade erwünscht. Mein hauptsächlicher Lernprozeß fand in meinem geheimen Leben statt.«
    »Wenn ich es recht bedenke, war ich, weil wir so oft umgezogen sind, auch ein eher einsames Kind. Ich habe sicherlich nicht all die Vorteile genossen, die meinem älteren Bruder geboten wurden.«
    Während wir weiterhin Geschichten austauschen, entdecken wir mehr Gemeinsamkeiten, und unser Gespräch hüpft schneller vor und zurück als ein Tischtennisball, durchbricht allmählich die Barrieren der Anonymität. In der Vergangenheit hatte ich mich rasch im Leben anderer verloren, war oft zu dem geworden, was sie verlangten. Aber ich spüre, daß diese Freundschaft anders sein wird. Ich vermute, daß Joan bereits ein Gefühl für unsere mögliche Freundschaft hat, und da ich mich danach sehne, den engen Begrenzungen meiner eigenen Existenz zu entfliehen, bin ich bereit für diesen neuen Pfad. Schon jetzt hat ihre kindliche Ausgelassenheit begonnen, mich aus der Ernsthaftigkeit meines Exils zu befreien.
    »Es ist schon spät«, sage ich, als das Licht allmählich schwindet. Sie bringt mich zur Tür.
    »Das war ein wunderschöner Nachmittag, meine Liebe«, sagt sie, legt mir die Hände an die Wangen, schaut mit ihren blauen Augen tief in meine. »Ich sehe Sie bald wieder, ja?«
    »Sehr gerne. Es ist schon etwas, wenn man sich in einer Sackgasse befindet und dann, voilà, befreit einen jemand aus der Niedergeschlagenheit.« Ich schenke meiner neuen Freundin ein breites Lächeln.
    |35| »Verwandte Seelen. Das sind wir«, sagt sie. »Denken Sie nur, wenn Sie Ihre Ehe nicht aufs Spiel gesetzt hätten und weggegangen wären, dann wären Sie nur einer dieser Sommergäste, denen ich im Ort begegne.«
    Ich lächele und gehe die Stufen hinunter, schaue mich noch mal um und sehe, wie sie mir nachwinkt, beide Arme über den Kopf erhoben. Sie hat eindeutig Zugang zu tiefen Gefühlen und Einsichten, denen ich mich bisher nur auf Umwegen genähert habe. Ich schüttele den Kopf. Nachdem ich lange Zeit am Untergehen war, spüre ich, daß meine Seele bereit ist, die Segel zu setzen. Jedenfalls beginnt sich mein Selbstschutz durch die Wärme und Weisheit aufzulösen, die mit einer neuen Freundschaft einhergehen.

|37| Heilige Narren
    »Zeig mir alle Orte, die dich verzaubern«, meinte Joan halb flehend, halb befehlend während eines ihrer häufigen Telefonanrufe. Sie hat sich
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