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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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Kindheit und Gesellschaft
, brach Erikson mit Freud, indem er anführte, daß Biologie und sexuelle Identität nur ein Teil der menschlichen Entwicklung sind. Identität, so Erikson, leitet sich auch aus der eigenen Geschichte ab und wie man sich den vielen »Identitätskrisen«, mit denen man unweigerlich konfrontiert wird, stellt und sie bewältigt. Ich fand sein Interesse an der Entwicklung der einzigartigen Identität jedes Menschen so vielversprechend, besonders im Vergleich zu Jung und Freud, die sich ständig mit den Fehlern des Menschen zu beschäftigen schienen statt mit seinen Fähigkeiten. Erikson hatte bei Sigmund Freud in Wien studiert, bevor er in die Vereinigten Staaten emigrierte, wo er seine Lehre der acht fundamentalen Stadien der menschlichen Entwicklung ausarbeitete, durch die sich die Richtung der Psychiatrie für immer änderte.
    |29| Joan beendet das Telefongespräch und widmet mir ihre volle Aufmerksamkeit. »Soll ich uns einen Drink mixen?« fragt sie, bereits auf dem Weg zur Küche. »Port unterstützt den Lockerungsprozeß, finden Sie nicht auch?« fügt sie mit einem verschmitzten Zwinkern hinzu. »Wir haben keine Zeit, unsere Gedanken und Gefühle zu zensieren. Es gilt, eine Freundschaft zu entwickeln.«
    Plötzlich merke ich, daß ich sie mit ganz anderen Augen betrachte, ihre Manierismen und Exzentrik beobachte und versuche, die Leerstellen auszufüllen. Ihre Würde und Lebenslust, wie auch ihre anscheinend enorme Selbstachtung, müssen durch ihre Ehe mit einem derart gefeierten Individuum verstärkt worden sein. Außerdem hatte Erikson als Kreuzritter auf der Suche nach dem Selbst seine Frau sicherlich ermutigt, die große Dame zu werden, die sie offensichtlich geworden ist.
    Gleich darauf kommt sie mit einem Tablett zurück, auf dem zwei farbige Kelchgläser stehen, ein Dekanter mit Port und ein Holzbrett mit verschiedenen, rasch darauf angerichteten Käsestücken. »Gut, jetzt haben wir alles«, sagt sie, gießt den Port ein, begierig darauf, zur Sache zu kommen. »Auf uns.« Sie erhebt ihr Glas und nimmt einen Schluck, bevor sie sich zurücklehnt. »Möge das Unbekannte geboren werden. Möge die Veränderung geschehen.«
    »Jawohl«, erwidere ich, nehme einen großen Schluck und greife ihre Worte auf. »Da wir vom Unbekannten sprechen, würde ich Sie gern etwas fragen.«
    »Aber gewiß doch, meine Liebe. Fragen Sie.«
    »Ist Erik Erikson, der Mann auf dem Bild an der Wand, tatsächlich Ihr Mann?«
    Ich spüre, wie sie mich nachdenklich betrachtet. »Das ist er«, antwortet sie mit einem allmählich breiter werdenden Lächeln. »Wir sind seit über sechzig Jahren verheiratet.«
    »Es ist alles zu viel«, fahre ich fort, brabbele weiter und meine Stimme wird ein wenig schrill, wie immer, wenn ich aufgeregt |30| bin. Die Reporterin in mir wird ganz hektisch und will ihr eine Million Fragen stellen, aber ich halte mich zurück. »Ich bin von Ehrfurcht erfüllt!« platze ich heraus. Wenn mir jemand den Weg zeigen und mich in die richtige Richtung lenken kann, ist es diese Frau, wird mir klar.
    »Das brauchen Sie nicht, meine Liebe. Er hat die Arbeit geleistet, zu der er berufen war. Für jeden gibt es einen Plan, wenn man offen dafür ist. Erik war ein rastloser, umherziehender Maler von Kinderporträts, der nach Wien gelockt wurde, um Betreuer und Lehrer in der von Anna Freud geführten fortschrittlichen Schule zu werden. Schließlich war er in der Lage, bei ihrem Vater Sigmund zu studieren, und so wurde er Psychoanalytiker. Können Sie sich das vorstellen?« sagt sie, über diese Zufälligkeit kichernd. »Er tastete sich genauso vor wie wir anderen auch. Aber sagen Sie mir, meine Liebe, was hat Sie an seinen Vorstellungen gereizt?«
    »War er nicht einer der ersten Spezialisten für seelische Gesundheit, der seine Patienten ermutigte, mit ihrer Stärke zu arbeiten, statt sich nur auf ihre Schwächen zu konzentrieren? Das war es, was mich fasziniert hat – mir tatsächlich Hoffnung gemacht hat.«
    »Gut beobachtet. Die meisten Menschen erwähnen das gar nicht.« Zufrieden mit mir, lehne ich mich zurück und fahre fort.
    »Ich glaube, in der ganzen Zeit als Ehefrau und Mutter wollte ich wissen, was als Nächstes geschehen würde und wie ich mich auf das nächste Stadium vorbereiten sollte. Ich habe das Gefühl, mich, solange ich denken kann, immer nur auf die Lebensmitte vorbereitet zu haben. Mein Leben schien so klar definiert zu sein, solange ich die Familie um mich hatte,
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