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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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würde meinen, Sie hätten inzwischen die meisten Antworten gefunden«, sagte ich. »Was läßt Sie weitermachen?«
    »Ich war ein wildes Kind«, antwortete sie ungestüm, »ich wurde nie gezähmt. Meine Mutter fand, ich sei unverbesserlich. |23| Sie bezeichnete mich als böse, schön und selbstsüchtig. Ich nehme an, nachdem ich das oft genug gehört hatte, war ich entschlossen, dem auch zu entsprechen. In einer Kultur, die dem Spielerischen engstirnig und bösartig gegenübersteht, habe ich mich einfach durchgesetzt und das getan, was mir gefiel.«
    »Und jetzt?« Ich wollte hören, daß sie sich schließlich angepaßt hatte und vernünftig geworden war, wie ich das so viele Jahre lang getan hatte.
    »Von Anfang an habe ich mir gesagt, das nicht, nicht mit mir. Ich wußte, was mich befriedigte und was nicht, was für mich wirklich und natürlich war. Normal ist natürlich, und natürlich ist wild. Ich glaube, deswegen finde ich es hier draußen so schön«, sagte sie, beugte den Kopf zurück, atmete die salzige Luft ein, bevor sie das Cape enger um sich schlang, als sei ihr plötzlich kalt. »Ich war nie dazu fähig, Erfahrung durch Worte zu ersetzen«, fuhr sie fort. »Man muß rausgehen und die Dinge umarmen.« Sie streckte die Hand aus und nahm meine behandschuhte Hand in ihre, eine intime Geste für jemanden, der so neu in meinem Leben war, und bedeutete mir, es sei Zeit zu gehen. Schweigend gingen wir zum Ufer zurück, dachten vielleicht beide an den glücklichen Zufall unserer Begegnung.
    »Ich würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen«, sagte sie, als wir uns dem Parkplatz näherten.
    »Sehr gerne«, erwiderte ich. »Soll ich Sie mitnehmen?«
    »Vielen Dank, meine Liebe, aber ich habe mir ein Taxi bestellt. Es sollte jede Minute hier sein. Es ist mir zuwider, kein Auto zu haben und von anderen abhängig zu sein, die mich herumfahren. Ich denke daran, mir einen Golfwagen zu kaufen oder vielleicht ein dreirädriges Fahrrad.«
    Ihr Taxi kam, und ich öffnete ihr die Autotür. »Ihr Nachname – sagen Sie mir, wie ich Sie finden kann«, bat ich sie, als sie sich anmutig auf den Rücksitz setzte. »Erikson«, antwortete |24| sie. »Joan Erikson. Ich wohne ein Stück die Bank Street hinauf, an der Parallel Street. Rufen Sie mich an, ja?« Und damit schlug die Tür zu, und das Auto verschwand im Nebel.
    Hatte ich gerade eine Erscheinung gehabt oder war diese alte Frau Wirklichkeit? Vermutlich würde ich erst eine Antwort auf diese Frage bekommen, wenn sie wieder auftauchte. Verwundert fuhr ich heim.

|25| Verwandte Seelen
    Nur eine Woche später ruft Joan an, um mich zu einem Nachmittag mit Portwein und Gesprächen in ihr Haus einzuladen. »Bringen Sie ein paar von Ihren Büchern mit«, drängt sie, »damit wir Geschichten austauschen können.«
    »Aber ich habe nur Kinderbücher«, entgegne ich, »nichts besonders Intellektuelles.«
    »Was mich angeht, besitzen Kinder sowieso alle Weisheit. Es wird mich sicherlich faszinieren.«
    In den Tagen, die bis zu diesem ersten Zusammentreffen vergehen, bin ich sowohl voller Beklemmung wie auch Erwartung. Ich möchte diese geheimnisvolle Frau, die ich am Strand kennengelernt habe, beeindrucken, um ihr Interesse zu behalten und unsere Gespräche fortzuführen. Ihr Haus liegt zurückgesetzt von der Straße, unter hochaufragenden Eichen mit Nistkästen und Futterhäuschen, die von den Zweigen hängen, dazwischen überall Blumenbeete. Ich stolpere fast über eine riesige Statue des heiligen Franziskus, der ruhig das Durcheinander überschaut, während kleine Vögel unaufhörlich tschilpen. Als ich mich der Hintertür nähere, sehe ich eine kleine Glocke an einem Band hängen, mit einem Schild daneben, auf dem LAUT KLINGELN steht. Das mache ich, aber nichts geschieht. Nachdem ich ein paar Mal geklopft habe, schaue ich in ein Fenster und entdecke Joan auf einem Heimtrainer, bekleidet mit einem langen schwarzen Rock und laut singend. Sie winkt mir rasch zu, verlangsamt den Heimtrainer und springt ab, um mir die Tür zu öffnen.
    »Oh, meine Liebe, schön, daß Sie da sind«, sagt sie, umarmt |26| mich und küßt mich auf beide Wangen. »Kommen Sie rein, kommen Sie rein«, drängt sie mich, nimmt meine Hand und führt mich in einen großen Flur, in den ein lachender Bronzebuddha von einem Bord hoch oben herabschaut.
    »Also, ich hätte nicht erwartet, Sie auf einem Heimtrainer vorzufinden!« Ich ziehe meinen Mantel aus und lege ihn über ein Geländer. »Gehört das zu Ihrem
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