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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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zurück«, sagte sie mit versonnener Stimme. »Ich habe jede Menge Ballast am Ufer gelassen und hoffe, hier draußen etwas Neues zu finden.«
    »Die Fischer denken auch so«, gab ich zurück. »Sie fahren Tag für Tag hinaus, vertrauen sich dem Meer an und werfen ihre Netze aus. Sie scheinen immer mit etwas heimzukommen.«
    »Das wundert mich nicht.« Sie nickte. »Für mich hat ein vitales Leben mit Handeln und Fühlen zu tun. Darin liegt die Weisheit – in dem, was man tut und fühlt. An einem grauen Tag hinausgehen, sich den Elementen aussetzen, es wagen, anders zu sein – so muß man es machen. Gott sei Dank ist niemand sonst so närrisch wie wir. Wir können ganz allein im Nebel wandern!« Und damit streifte sie die Kapuze ab, um sich den Wind durch die Haare wehen zu lassen, beschleunigte ihren Schritt und schien den Rest des Weges hüpfen zu wollen.
    »Manchmal denke ich, Frauen sind wie Nebel.«
    »Wie meinen Sie das?« fragte sie, blieb abrupt stehen und drehte sich zu mir um.
    |21| »Wir wissen, was im Inneren ist, aber unser äußeres Selbst wird durch das verborgen, was andere von uns denken.«
    »Tja, das mag schon sein. Die geheimnisvolle Frau«, sagte sie, ohne die geringste Dramatik in der Stimme. »Wir sollten es lieber so lassen.«
    Ich lachte über ihren sanften Feminismus. »Ich bin schon hundert Mal hier draußen gewesen und noch nie jemandem wie Ihnen begegnet.« Ich trat vor und streckte die Hand aus, um ihr über einen Spalt in den Felsen hinwegzuhelfen.
    »Das geht schon, Mami«, sagte sie und lehnte meine Hilfe ab. »Dieser alte Körper hat mich noch nie im Stich gelassen.«
    Schließlich erreichten wir die Spitze der Mole, lehnten uns an den Rand der Glockentonne und überließen uns den Elementen. Als die Glocke im sich drehenden Wind ertönte, trieb eine grauweiße Möwe heran und umkreiste uns mehrmals, kam uns so nahe, daß wir die komplizierte Musterung ihrer Federn an den zarten Kielen erkennen konnten. »Was für ein schönes Wesen«, rief Joan. »Ich wette, es fühlt sich frei, genau wie wir jetzt.«
    »Das ist der Grund, warum ich hierherkomme. Man kann hier wunderbar nachdenken.« Ich dachte an die vielen Male, die ich in den letzten paar Monaten hier gewesen war und die irgendwie meine Stimmung gehoben hatten.
    »Zum Leben gehört mehr als nachzudenken«, meinte sie sanft, stellte das fest, ohne mir widersprechen zu wollen. »Alle sind soooo ernst, finden Sie nicht?«
    Ich verstummte und wurde traurig, hatte sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich dazu neige, die dunkle Seite der Dinge zu sehen, statt dem Licht zuzustreben. Und diese Frau, am Ende ihres Lebens und mit einem kranken Mann, schwelgte darin, selbstbezogen und närrisch zu sein. Ich teilte ihren Optimismus nicht, aber ich war fasziniert. Ich versuchte mich an unbeschwertere Zeiten zu erinnern, damit ich auf ihrer Wellenlänge bleiben konnte.
    |22| »Im Sommer habe ich oft mit meinen Jungs auf dieser Mole geangelt«, sagte ich. »Im August kommen Schwärme von Goldstreifenschnappern mit der auflaufenden Flut. Man kann die Schnur gar nicht schnell genug reinwerfen.«
    »Muß nett sein, Sommererinnerungen an ein und denselben Ort zu haben«, meinte sie etwas wehmütig. »Ich bin immer so was wie eine Nomadin gewesen – ich habe einen Gutteil meiner Jugend damit verbracht wegzulaufen.«
    »Vielleicht hätte ich das auch tun sollen«, erwiderte ich. »Dann wäre ich nicht in diesem Stadium meines Lebens von Zuhause weggelaufen.«
    »Ich mag Sie«, sagte sie, das Thema wechselnd, und fragte: »Was sind Sie von Beruf?«
    »Ich schreibe Kinderbücher. Davor war ich Journalistin. Aber ich muß gestehen, daß ich in letzter Zeit versucht habe, mir mit einem Tagebuch den Weg durch dieses Dilemma zu bahnen, in dem ich mich befinde. Doch bisher herrscht in meinem Kopf nur heilloses Durcheinander, und die Klarheit entzieht sich mir.«
    »Lassen Sie sich Zeit«, antwortete sie. »Wir haben alle originelle Gedanken. Wir müssen sie nur richtig nutzen.«
    »Tja, Sie scheinen jedenfalls eine Menge davon zu haben – originelle Gedanken, meine ich. Sind Sie vielleicht Schriftstellerin?«
    »Ich habe tatsächlich während eines Großteils meines Lebens geschrieben«, erwiderte sie rasch, als läge ihr daran, durchschaut zu werden. »Das hilft mir, den Nebel zu durchdringen und Antworten auf meine eigenen Probleme zu finden. Es nützt nichts, Rat von jemand anderem anzunehmen. Was wissen andere denn von meinen Erfahrungen?«
    »Ich
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