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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi
Autoren: Bastei Lübbe
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getragen, das vor dem Haus wartete. Die Sicherheitskameras einer ausländischen Botschaft auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatten gute Bilder von einem blonden Mann in einer Lederweste aufgenommen, der den Safe zweimal aus dem Griff verlor, bevor es ihm gelang, ihn auf den Rücksitz eines alten Kombis von schwer zu identifizierender Marke zu hieven. Im Hintergrund züngelten Flammen aus den Fenstern.
    Sie hatten den ganzen Tag gebraucht, um am Tatort zu recherchieren und sich mit der Botschaft darauf zu einigen, dass ihnen die Aufzeichnungen der Kameras zur Verfügung gestellt wurden. Der Fall war im Grunde genommen geklärt. Der Blonde war ein stadtbekannter Psychopath. Gunnar hatte ihn um halb sieben an diesem Morgen zu Hause angetroffen.
    Der Häftling ahmte jetzt Affengeschrei nach und kratzte sich gleichzeitig an den Seiten. Dann brüllte er wieder vor Lachen.
    Birkir betrachtete das Gesicht des Mannes. Die Proportionen waren seltsam, die Augen standen weit auseinander, und der Kopf lief kegelförmig spitz zu. Die dicke Nase endete in einem aufwärts strebenden bizarren Gebilde mit weiten Nasenlöchern.
    »Degeneration«, sagte Birkir.
    Der Gefangene hörte auf zu lachen. »Hä, was denn, was denn«, sagte er. »Kann der Halbaffe etwa Ausländisch?« Seine Stimme klang schrill und entstellt.
    »Entartung«, übersetzte Birkir.
    »Was willst du damit andeuten?«
    »Deine Eltern waren wohl Geschwister?«, erkundigte sich Gunnar.
    Das Gesicht des Gefangenen verzerrte sich vor Wut, und seine schwere Faust flog auf Gunnars Kopf zu. Gunnar hatte das anscheinend erwartet. Er wich dem Hieb aus, bekam aber den Arm zu fassen, drehte ihn dem Mann auf den Rücken und zwang ihn mit dem Oberkörper auf den Tisch.
    »Auuuu«, jaulte der Gefangene, als Gunnar sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn warf, sodass er sich nicht mehr rühren konnte.
    »Dieser Kotzbrocken hat sogar noch Brandgeruch im Haar«, sagte Gunnar. »Der duscht nicht mal.«
    »Ich schlag dich k.o., wenn du mich nicht loslässt«, jaulte der andere.
    »Der erste Versuch ging daneben«, entgegnete Gunnar.
    »Ich mach dich alle – später«, versicherte der Häftling.
    Die Tür zum Verhörzimmer ging auf, und Magnús Magnússon, seines Zeichens Hauptkommissar bei der Abteilung für Kapitalverbrechen, kam herein.
    »Jungs«, sagte er, als er sah, was los war. »Was hat das denn zu bedeuten?«
    Gunnar richtete sich vorsichtig auf, ohne den Griff um den Arm des Gefangenen zu lockern. Mit der anderen Hand holte er Handschellen aus seiner Jackentasche.
    »Angriff auf einen Kriminalbeamten im Dienst«, sagte er feierlich und legte dem Gefangenen die Handschellen an.
    »Aua, du tust mir weh«, sagte der Gefangene.
    »Die richterliche Verfügung auf U-Haft liegt vor«, sagte Magnús. »Das hier kann also warten. Ihr bringt ihn in die Zelle und kommt dann sofort zu einer Besprechung zu mir. Es geht um einen neuen Fall.«
    11:45
    »Wir haben da ein großes Problem«, erklärte Hauptkommissar Magnús, der normalerweise ein fröhlicher und vergnügter Mensch war. Jetzt schien jedoch etwas auf ihm zu lasten. Trotz der Sonnenbräune aus dem Italienurlaub im August wirkte er bleich. Der braune Teint machte sich normalerweise gut zu seinem gepflegten graumelierten Haar und dem kräftigen Schnauzbart, im Augenblick wirkte Magnús jedoch ungekämmt und sah angeschlagen aus. Er ging auf die sechzig zu, war aber für sein Alter noch ganz gut in Form, auch wenn sich über dem Gürtel ein Bauchansatz abzeichnete.
    Er schloss die Tür zu seinem Büro und sah Gunnar und Birkir eine Zeit lang ernst an.
    »Ich muss euch in einer dringenden Mission nach Berlin schicken«, sagte er schließlich. »Morgen früh geht ein Direktflug.«
    »Nach Deutschland?«, entgegnete Gunnar und schüttelte den Kopf. »Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich gehe nicht ins Ausland.«
    »Was meinst du denn damit?«, fragte Magnús perplex.
    »Ich gehe nicht ins Ausland«, wiederholte Gunnar.
    »Du sprichst doch Deutsch, und du bist doch auch schon im Ausland gewesen, oder nicht? Du hast doch einen Pass?«
    »Ja, ja, und nein.«
    »Und was soll das heißen?«, fragte Magnús.
    Birkir antwortete an Gunnars Stelle. »Du weißt, dass seine Mutter Deutsche ist. Natürlich spricht er Deutsch.«
    »Und er ist doch auch schon im Ausland gewesen?« Magnús sah Birkir fragend an.
    »Er hat einmal Urlaub auf Mallorca gemacht, wo er zu viel gefressen und gesoffen hat, und seitdem will er nicht mehr ins Ausland.
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