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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi
Autoren: Bastei Lübbe
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und die verschlossenen Archivräume. Dort konnte bestimmt niemand sein. Der Botschaftsrat begab sich also in die nächste Etage und machte Licht, sobald er durch die Tür an der Treppe den Korridor betreten hatte. Rechter Hand befanden sich vier Türen, drei davon waren geschlossen, doch die vierte, die zum Konferenzraum mit einem großen Tisch und zehn Sitzplätzen führte, stand halb offen. Dort hatte der Botschafter offensichtlich ein Abendessen gegeben. Schmutziges Essgeschirr, Weingläser und Essensreste in Pappschachteln bildeten ein wüstes Durcheinander auf dem Tisch, und in der Mitte standen zwei leere Cognacflaschen. In einem Rotweinkarton mit zwölf Fächern, von dem der Deckel einfach abgerissen worden war, befanden sich zwei ungeöffnete und sechs leere Flaschen. Zwei standen auf dem Tisch, zwei fehlten. Der Raum roch penetrant nach verschüttetem Rotwein und Rauch. Ein dreckiger Essteller war als Aschenbecher verwendet worden.
    »Wunderbar«, sagte Arngrímur laut zu sich selber. Er sah sich im Zimmer um und anschließend unter den Tisch, wo sein Blick an einer leeren Cognacverpackung hängen blieb, die unter einem der Stühle lag.
    »Schlimmer kann’s ja wohl kaum werden«, sagte er und ging wieder auf den Korridor, um sich die Toilette auf der anderen Seite des Flurs anzusehen. Irgendjemand hatte ins Klo gekotzt und nicht mehr genügend Verstand besessen, um anschließend abzuziehen. Der Gestank war dementsprechend.
    »Vielleicht muss man doch noch auf einiges gefasst sein«, korrigierte Arngrímur sich selber, hielt den Atem an, beugte sich zur Toilette vor und drückte mit dem Zeigefinger ab. Der Gestank steigerte sich noch, als der Wasserstrahl den Mischmasch hochspülte, bevor er in die Kanalisation ging.
    Im zweiten Stock waren bis auf die Kaffeeküche der Belegschaft sämtliche Räume verschlossen. Dort brannte noch Licht, diverse Schränke, aus denen man Gläser und Geschirr geholt hatte, standen offen, ebenso die Besteckschublade. Arngrímur schloss die Schränke und die Schublade und ging zum Fenster, von wo aus er auf die Plaza hinunterblicken konnte. Im Dunkel der Nacht war dort niemand unterwegs. Das einzige Lebenszeichen war das Licht im Fenster der Sicherheitskräfte im Gemeinschaftshaus der Bybbotschaften, dem Felleshus. Eigentlich hätte es eine ruhige Nacht sein sollen.
    Als Arngrímur wieder auf den Korridor hinaustrat, warf er einen Blick ins WC und machte Licht. Dort war alles so, wie es zu sein hatte, oder doch beinahe. Der Deckel der Toilette stand hoch, und in der Schüssel schwamm ein Zigarettenstummel. Arngrímur betätigte erneut die Spülung und sah zu, wie die Kippe wirbelnd abgesaugt wurde. Dann klappte er den Deckel vorsichtig herunter und ging zurück auf den Flur. Er hielt eine kleine Weile inne und horchte. Er arbeitete seit mehreren Jahren in diesem Haus und kannte jeden Laut. Jedes Haus hat in der Nacht seine eigenen Geräusche, es herrschte niemals vollkommene Stille. Falls hier irgendjemand unterwegs gewesen wäre, hätte er es sofort gehört. Er konnte aber nicht einmal das leiseste Rascheln vernehmen.
    Arngrímur ging eine weitere Treppe hinauf und blickte in den dunklen Korridor auf der obersten Etage. Er fasste an die Klinken der beiden ersten Türen auf der rechten Seite, sie waren verschlossen. Die Toilette zur Linken war offen, doch dort war niemand.
    Blieb also nur das Büro des Botschafters, das ebenfalls offen stand. Arngrímur näherte sich der Tür und warf einen Blick hinein. Abgesehen vom Licht einer massiven, brennenden Kerze auf einem hohen Kerzenleuchter lag das Zimmer im Dunkeln, die Vorhänge waren zugezogen, und sämtliche Lampen waren ausgeschaltet. Im schwachen Schein des flackernden Kerzenlichts betrat Arngrímur das Zimmer und betrachtete den Kerzenleuchter, einen unterschiedlich dicken, gewölbten Zylinder aus gebranntem Ton. Er stand auf einem niedrigen Tisch, und daneben befand sich ein weiterer Leuchter von ähnlichem Aussehen, doch die Kerze brannte nicht. Die Leuchter wirkten rustikal, es handelte sich mit Sicherheit nicht um sakrale Gegenstände, so viel stand fest.
    Die Szenerie war irgendwie so absonderlich, dass Arngrímur spürte, wie ihm ein Kälteschauer den Rücken hoch und bis in den Nacken kroch. Als er sich langsam umdrehte, kam der Schreibtisch des Botschafters in sein Blickfeld, der im Dunkeln lag. Ein massiger Körper saß in dem Stuhl dahinter, der Kopf hing vornüber.
    Arngrímur spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf
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