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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle
Autoren: D.G. Compton
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PROLOG
     
    Ungefähr zwanzig Jahre, bevor unsere Geschichte anfängt, wurde die trostlose Stille von Penheniot Village – einem Dorf über Penheniot Pill, das einen Bach in der Nähe des kleinen Hafens St. Kinnow in der Grafschaft Cornwall bezeichnet – durch das talentierte Furzen des jungen Roses Varco nachhaltig gestört.
    Er trottete die winzige, öde Hauptstraße hinunter und furzte behaglich bei jedem zweiten Schritt.
    Die halbverfallenen Häuser nahmen dieses Geräusch ergeben hin, wie sie auch das Wetter und (menschliche Schlamperei) seit Generationen hingenommen hatten. Doch eine weitverzweigte Familie von Krähen, die sich bereits in den hohen Ulmen bei der Sägemühle zur Nachtruhe niedergelassen hatten, erhob sich, erzürnt über dieses Geräusch, und störte noch gründlicher den efeuübersponnenen Frieden. Roses blickte zu ihnen hinauf und winkte, als wolle er einer Zuhörerschaft danken. Dann hielt er abrupt in seinen fahrigen Bewegungen inne und beobachtete statt dessen das waghalsige Kreisen der Vögel am Himmel. Wenn er sich nicht selbst daran erinnerte, daß es sich um Vögel handelte, konnte er sie für riesige schwarze Segelschiffe halten, die hoch über ihm kreuzten. Doch nach einer Weile zerstörte das Krächzen diese Illusion, und Roses setzte enttäuscht seinen Weg zum Pier fort.
    Dort setzte er sich auf die faulenden Bohlen, ließ die Füße über den Rand der Mole baumeln und starrte hinunter in den Schlamm. In jenen Tagen stieg das Meerwasser zur Flutzeit höchstens eine Stunde lang bis zur Mündung von Penheniot Pill hinauf, leckte ein paar trübe, armselige Zentimeter an den Pfählen der Mole empor und läpperte ein bißchen im Bachbett unter der Mole.
    Trotzdem hatte es eine Zeit gegeben, wo der Penheniot Pill tiefes Wasser führte. Man hatte ihn für Frachtschiffe ausgebaggert, die hier auf die Flut warteten, um flußaufwärts zu fahren. In jenen Tagen hatte Penheniot einen geschützten Ankerplatz für eine kleine Fischereiflotte gewährt. Auch eine kleine Werft war in der Nähe des Strandes errichtet worden. Der kleine Weiler am Ende des Tales blühte auf, und das Gehöft, das dem Fluß am nächsten lag, hatte sich sogar zu einer Sägemühle ausgewachsen. Das Dorf wuchs, und der Gemeinderat hatte sogar den steilen Weg pflastern lassen, der zur Hauptstraße nach St. Kinnow hinaufführte. Man sprach sogar schon von einem Rathaus, das man in Penheniot bauen wollte.
    Dann kam die große Depression. Die Küstenfrachter trafen nur noch selten ein, und die Ausflugsdampfer rosteten auf dem behäbigen Wasser des Pills, während sich der Schlick an ihren Rümpfen sammelte, Schlamm, den die Flut anschwemmte, Sand und Kiesel, vom Fluß aus dem trockenen Land heruntergetragen. Als schließlich die Dampfer fortgeschleppt wurden, um irgendwo zu verenden, ebnete der Schlick und Schlamm ihre Liegeplätze ein, und Penheniot starb mit seinen Dampfern. Da kein tiefes Wasser mehr um das Dorf herumfloß, hatte es auch keine Daseinsberechtigung mehr. Haus um Haus wurde die Siedlung aufgegeben, die Sägemühle schloß und überließ sich den Eulen und Dachsen zur Miete.
    Das Gras schob den Asphalt aus den Ritzen der Pflastersteine. Efeu wucherte über die Dächer, bis sie unter der üppigen Last einstürzten. Der Sieg der rücksichtslosen Natur war fast vollständig.
    Die Brut von Reuben Varco räumte als letzte das Feld, lange nachdem der Bäcker sich geweigert hatte, die Brötchen zuzustellen, und der Schulbus nicht mehr oben an der Kreuzung wartete, um die Varco-Kinder aufzulesen. Die alte Frau Varco hatte täglich vier Meilen bis zur Stadt laufen müssen, um Nahrungsmittel und den Tabak für ihren Mann einzukaufen. An dem Tag, als sie plötzlich starb – sie fiel mit dem Gesicht in das Herdfeuer, mußte aber (behauptete der Arzt) bereits tot gewesen sein, ehe sie wußte, was ihr geschah –, packte die älteste Tochter ihre und die Sachen ihrer Geschwister zusammen und verließ am nächsten Morgen das Dorf, ohne sich vom Fluchen des alten Reuben beirren zu lassen. Mit ihren vier Geschwistern zog sie in ein Gemeindehaus von St. Kinnow, in ein Milieu von verständnisvollen Sozialarbeitern, von Bingo, gebackenem Fisch und Fritten und Ladenbesitzern, die anschreiben ließen.
    Ihr Vater wählte die Verbannung an einen Ort, den er kannte. Schon einen Monat später starb er dort, im Wald verblutend, weil er sich den Fuß abgehackt hatte. Es gab Leute, die behaupteten, er hätte das absichtlich getan und
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