Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
Stall, besonders die Leute von der Tierproduktion. Er mit. Sie hätten die Tiere ja noch losgebunden.Aber denkt ihr, daß die überhaupt aufgestanden sind? Liegengeblieben sind die, die waren einfach nicht hochzukriegen. Mit Mistgabeln sind wir auf die los, sagte Jürgen Schependonk und weinte. In die Weichen haben wir sie getreten. Vorne haben welche am Strick gezogen, hinten haben welche geschoben. Nichts zu machen. Gestemmt haben die sich, die Viecher, gewälzt. Und geschrien. Tierisch. Aber nicht ins Freie zu kriegen sind die gewesen. Und die wir gleich anfangs rausgetrieben hatten, die sind ins Feuer zurückgerast. Die Frauen von der Genossenschaft sind weggerannt, die konntens nicht mit ansehen. Die Kinder wurden eingesperrt, alle waren in ihrem Nachtzeug auf die Straße gelaufen. Durch die Dorfstraße ist das Vieh gejagt. Der Brigadier vom Bullenstall, der sitzt auf dem Hof und hat den Kopf zwischen den Händen. Den kannst du gar nicht ansprechen. Den hat sogar die Brandpolizei erst mal in Ruhe gelassen. Und wie das stinkt, sagte Jürgen Schependonk. Mann o Mann. Geht bloß nicht hin. Wer nicht muß, soll da nicht hingehen.
    Was konnte den Instinkt der Tiere so verdorben haben.
    Flüchteten die wilden Herden in der Prärie nicht vom Feuer weg? Was trieb das Hausvieh in die Flammen? Es war früher Vormittag, da kochte Ellen noch einmal Kaffee für alle, den sie schweigend tranken. Ein ungutes Gefühl ließ sie nicht mehr los.
    An einem der nächsten Morgen erwachte Luisa mit der deutlichen Empfindung, daß der Tag krank sei. Sie fing gleich an, dagegen Kraft zu sammeln. Sie bringt eine unglaubliche Kraft auf, wenn sie darauf gefaßt ist, daß sie ihr abverlangt wird. Bella und sie haben es spätererzählt, wie unheilvoll der Tag in seiner bleiernen Schwüle ihnen von früh an erschien. Wie sie beide gewußt hätten, daß etwas geschehen werde, aber vermieden, darüber zu reden. Irgend etwas mußte die Erde, aufgeladen mit dieser unheilschwangeren Hitze, aus ihrem Schoß ausstoßen.
    Jonas legte sich waffenlos matt in den Schatten der riesigen Kastanie. Er schlief ein. Dann sah Bella, daß Luisa etwas sah, etwas Gräßliches; die Gänsehaut, die über ihre Wange lief. Das Entsetzen, der Ekel in ihrem Gesicht. Trotz der warnenden Geste von Luisa drehte Bella sich um und sah ihn nun auch, den lebenden Kadaver. Das Vorderteil eines Maulwurfs, das sich qualvoll aus der Erde zwängte, während seine hintere Hälfte von Würmern abgefressen war, die noch auf ihm wimmelten. Bella fühlte, wie sich ihr die Haare sträubten. Schlief Jonas? Sie griff nach einem Spaten und trennte dem unseligen Tier mit einem scharfen Stich den Kopf vom Rumpf. Sie bedeckte es wie besessen mit Erde, taumelte zur Hausecke, übergab sich. Bella kann so etwas, sagte Luisa. Sie ist nicht zimperlich. Totenbleich standen sie dann beide in Luisas Zimmer und sahen sich, die beiden Fenster und die Wiese vor dem Haus im Spiegel. Da fuhr durch den Spiegel auf einmal eine kleine rote Feuerwehr, die war schon in einer Staubwolke verschwunden, als sie vors Haus liefen. Sie jagten die Stiege hoch, zum Bodenfenster, da sahen sie den Rauch, der stieg auf, wo der Kopf des Katers war. Da brannte was. Das Haus von Ellen und Jan, flüsterte Luisa. Beide glaubten sie es. Ihre plötzlich eiskalten Glieder machten es sie glauben. Eine innere Stimme, daß es logisch, daß es fällig war, befestigte den Glauben. Luisa nahmdas Blech vom Herd, Bella riß Jonas hoch, sie liefen los.
    Der Weg der Erkenntnis dauerte Bruchteile von Sekunden, das können alle bezeugen. Als wäre sie sowieso auf das Schlimmste gefaßt, als mußte sie nur Jans Stimme in einem nie gehörten Tonfall ihren Namen rufen hören: Ellen!, damit ein Schrecksignal sie durchfuhr: Jetzt!, und ihr die Finger zitterten, daß sie den Reißverschluß von ihrem Rock nicht zukriegen konnte. Loslos, mach! Das Feld brennt.
    Das Feld. Nicht das Haus. Aber die Rauchwand trieb auf sie zu, die Funken sahen sie sprühen. Wenn einer aufs Rohrdach sprang! In weniger als einer Minute sahen sie das Haus abbrennen. Nach den ersten Funken die erste handbreite Feuerzunge am First. Den ersten Quadratmeter Rohrdach, der züngelnd, freudig zu brennen anfinge. Und dann folgerichtig alles übrige. Bis zu dem Balkenskelett, das, stinkend, angeräuchert, qualmend, stehenbleiben würde.
    Jetzt schon? dachte Ellen. Wieso schon jetzt. Da wollte irgend etwas sich bestätigen. Für irgend etwas war das die Quittung. Wofür, wußte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher