Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
jeder bei sich. Ob wir dir noch helfen können, Haus. Wir tun unser Möglichstes. Jan zerrte den Schlauch um den Stall, begann das Dach zu bespritzen, mit einem elendig dünnen Strahl. Ellen sah Jenny losrennen, über die Straße weg, wo jenseits weit entfernt auf dem riesigen Stoppelfeld zwei Traktoren in einer Staubwolke beim Pflügen waren. Ellen stürzte ans Telefon, hämmerte auf die Gabel: tot. Wie immer um diese Zeit, wenn die Traktoren die Erdleitungen zerrissen. Zum Dorf! schrie Jan. Feuerwehr! – Das Auto aus dem Stall. Auf der Straße rannteClemens an ihr vorbei, mit Eimern, auch er mit diesem aufgerissenen Gesicht. Irene, an der Gartentür, rufend, winkend. Die Dorffrauen barmend auf der Dorfstraße, alle Blicke gebannt auf das brennende Feld. Gas geben. Vorbei. Auf dem Weg zum Dorf stoppte ein Mann in Arbeitskleidung sie, sprang ins Auto. Ab! rief er. Zur Traktorenstation! Schweigend saß er neben ihr, sie spürte seine Spannung, nur einmal, als sie die Kurve schnitt, sagte er: Na, na. Heil ankommen wollen wir aber doch, was?
    Ellen war fühllos. In ihr brannte mit unbeschreiblicher Glut das Haus. Es war die Vor-Glut, die sich, als das Haus wirklich brannte, nicht mehr mit gleicher Stärke einstellte. Die realen Bilder und Vorgänge verblaßten hinter dem Bild des brennenden Hauses. Ihr war, als riefe der Mann neben ihr: Halt!, als hielte sie kurz, solange er brauchte, um hinauszuspringen, ihr zuzurufen: Ich schick Hilfe. Zum Bürgermeister!, während er schon zur Verwaltungsbaracke rannte. Sie mußte weitergefahren sein, Gesichter mußten an ihr vorbeigeglitten sein, deren Ausdruck verwundert, neugierig, entsetzt gewesen war. Das Haus brannte. Ihr war, als hielte sie vor der Bürgermeisterei, wo der zweite Bürgermeister vor der Tür stand, schrie: Was ist los!, ihr war, als riefe sie: Unser Feld brennt. Feuerwehr!, worauf der zweite Bürgermeister hastig im Haus verschwand, während sie schon wieder Gas gab. Sie sah im Vorbeifahren noch, wie Paul Mackowiak die großen roten Tore des Spritzenhauses aufschob, hatte nicht auch er dieses Gesicht, das man an Männern selten sieht, hörte sie nicht, nun schon wieder am Dorfausgang, zwei Minuten später die erste Feuersirene? In ihr brannte das Haus. Standenda Jungen mit Schulmappen und Rädern? Sie hielt an. Kommt, einsteigen. Helfen. Sie warfen ihre Räder in den Straßengraben, sprangen ins Auto, stellten keine Fragen. Das Haus brannte, es brannte das Haus.
    Es ist uns zu gut gegangen. Es sollte nicht sein. Später gaben sie sich diesen Gedanken gegenseitig zu. Aber daß die Seele eines Hauses brennen kann, das haben sie damals noch nicht erlebt. Was selten vorkommt, sie erhielten Aufschub.
    Dieses Mal, sagt Fritz Schependonk, sind wir ja noch eins mit dem Schrecken und mit einem blauen Auge davongekommen. Das hätte nämlich leicht danebengehen können, bannig leicht sogar. Nein, sagte Tante Wilma, dies wär zu ungerecht gewesen, dies hat nicht sollen sein. Da saßen sie schon alle um den Küchentisch bei Jan und Ellen und aßen den Kuchen auf, den Luisa über die Hügel angeschleppt hatte, Luisa, die sehr bleich war und deren Gesicht heftig zuckte, die nicht von dem Maulwurf sprechen konnte, Bella, nicht zimperlich, konnte davon reden. Ja, sagte Erna Schependonk, das seien so Zeichen, aber sie, wenn sie nicht gewesen wären und gegen das Feuer angegangen wären, na, sie wisse ja nicht. Wer der erste gewesen war, ließ sich nicht mehr ausmachen, insgeheim hoffte wohl jeder, daß er es war, und möglich ist es durchaus, daß der Gedanke in mehreren gleichzeitig aufblitzte. Mag sein, daß Fritz Schependonk, als er Clemens mit den Eimern über die Straße laufen sah, fast automatisch nach seinem Spaten griff, mag durchaus sein, daß er der erste war, der aufs Feld rannte, dicht hinter ihm Clemens, der hatte sich von Jans Giebel auch einen Spaten genommen. Jan sah sie und verstand, was sie wollten – sieselbst hatten es da noch nicht ganz verstanden –, langte nach der nächsten Schippe und lief ihnen nach. Dichtauf folgten die Dorfleute, auch die Frauen, alle etwas in der Hand, womit man das Feuer ausschlagen konnte. Auf einmal bildeten sie eine Reihe, niemand gab irgendein Kommando, ganz still soll es gewesen sein, bis auf das Prasseln der kleinen Flammen und gelegentliches Husten, wenn einer sich am Rauch verschluckte, denn der Rauch kam ihnen zuerst ja direkt entgegen. Und das dumpfe Klopfen der Spaten war natürlich zu hören, mit denen sie die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher