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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
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nicht. Ich glaube, daß jeder Mensch manchmal Mitleid will. Selbst deine Großmutter, sagte ich, und dachte, wie ich dir, wenigstens jetzt, eine erwachsene Mutter wünschte. Das waren noch Menschen. Jedes Wort ein Diamant. Wenn sie schreibt »verstoßen«, wenn sie schreibt »machtlos«, da könntest du auch mit einem Vorschlaghammer nicht eine Stecknadelspitze zwischen ein solches Wort und die Wirklichkeit zwingen. Bei uns, da kannst du den Finger dazwischenlegen. Die ganze Hand. Ach, manchmal den ganzen Menschen, dich selbst.
    – He, Schwester. Nun halt aber mal die Luft an. Nun gönn dir mal diesen Zwischenraum. Oder sollen dich deine Sätze mit Haut und Haar verschlingen.
    – Dazu war nichts zu sagen, aber heute sag ich – während der Regen nachläßt, Steffi, erste Sonnenstrahlen durchbrechen –: Ja, sie sollen. Sollen sie doch. Zurückhaltend, wie du mich kennst, gebe ich mich auf. Rückhaltlos, wie du mich wünschst, bleibe ich bei mir. Und nun lege ich meine Hand zwischen diese beiden Sätze, und, solange du es noch kannst, leg die deine dazu.
    – Übrigens: Das alles mußt du mal beschreiben.
    Ich sagte, ohne zu überlegen: Dazu müßte das Haus erst abgebrannt sein. – Und du, meine Liebe, hast mit keiner Wimper gezuckt. Du hast gewußt, wovon ich rede. Warum ich so rede. Hast weder Abwehr noch Empörunggeheuchelt. Du hast die Augenbrauen ein wenig hochgezogen, du hast nachgedacht, und nach einer Weile hast du gesagt: Komische Welt.
    – Das habt ihr alle nicht wahrhaben wollen: daß ich hart sein kann. Auch du hast es mir nicht geglaubt. Bloß weil ich meine Angst vor Verletzungen anders abgefangen habe als du: mehr weibhaft. Sogar weibchenhaft.
    – Hat man mir nicht erlaubt.
    – Hast du dir nicht erlaubt.
    – Okay, Schwester. Sollst recht haben. Es ist nicht wichtig. Altern ist, übrigens, auch, daß du dich immer öfter zu dir sagen hörst: Es ist nicht wichtig. Es ist jetzt tief in der Nacht. Drei von den sieben Rosen in dem grünen Krug zeigen fast unmerkliche Anzeichen von Verfall. Irgendwann, während ich die ganze Zeit neben ihnen saß, hat sich, unbemerkt von mir, entschieden, daß sie nicht aufblühen, sondern verwelken werden. Irgend etwas im Verhalten oder in der Zusammensetzung ihrer Säfte ist umgekippt. Sie kippen um.
    – Ich sollte schweigen, Schwester, mit diesem aufgeblasenen Kopf. Oder auf dem Grund eines kühlen Wassers liegen, wohin keine Reize dringen, nur alles sanft umspült wird, ohne weh zu tun. Dieses Wasser wünsch ich mir so sehr, fast ist es eine Zwangsvorstellung. Wie geht es dir, Schwester.
    – Mir? Da bringst du mich in Verlegenheit.
    – Dich fragt man nicht, wie? Aber das liegt an dir. Weil du immer gleich ablenkst. Diesen Schleier über die Augen ziehst.
    – Das macht man absichtlich, meinst du.
    – Mag sein, daß man am Ende nicht mehr anders kann.
    – Aber wir sind noch nicht am Ende. Übrigens: Altern ist auch, daß du aufhörst, für irgend etwas, was dir zustößt, jemand anderem die Schuld zu geben.
    – Du beschreibst dein Altern.
    – Welches sonst. Und noch was: Wenn mal was ist, ich meine, wenn wirklich mal was sein sollte, dann gibst du Laut, und ich komme dich beschwestern, ja?
    Steffi sagte: Okay, aber was soll schon sein. Solange ich arbeite, weißt du.
    – Ja.
    Sie sagte noch: Also ist es kein Rückzug, was du hier betreibst, in Stille und Abgeschiedenheit, sogar in Schönheit? Ich sagte: Du mußt verrückt sein. Siehts dir danach aus? Nicht mehr, sagte sie, während wir vorsichtig im Halbdunkel die Treppe hinuntergingen. Gut, daß ich hier gewesen bin.
    Unten ging das Licht an, sie riefen nach uns.

Dieser Text wurde in seinen frühen Fassungen bis 1982/83 niedergeschrieben, Teile davon parallel zu »Kein Ort. Nirgends«. Er wurde 1987 für den Druck überarbeitet.
    Alle Figuren in diesem Buch sind Erfindungen der Erzählerin, keine ist identisch mit einer lebenden oder toten Person. Ebensowenig decken sich beschriebene Episoden mit tatsächlichen Vorgängen.
    C. W.
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