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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
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niedrigen Flammen ausschlugen. Sie ließen sich nicht einschüchtern. Sie hatten ihren Schreck und ihre Augenblicksschwäche überwunden, sie waren stark genug, sie gingen gegen das Feuer vor. Sie hielten den Rauchschwaden stand. Das soll woll sind, sagte Fritz Schependonk. Das nutzt ja nun alles nichts. Wenn man da gleich wieder wegrennen wollte – also nee. Trotzdem. Tante Wilma ließ nicht locker: Ein Wunder hatten sie aber doch noch gebraucht. Und das kam ja denn auch, und zwar genau im richtigen Moment.
    Was wahr ist, muß wahr bleiben: Der Wind schlug plötzlich um. Der Rauch zog nach der entgegengesetzten Richtung. Und im gleichen Augenblick erschien am Feldrand der erste der beiden Traktoren, die Jenny geholt hatte, mit ihr auf dem Trittbrett, und begann unverzüglich, einen Streifen Feld umzupflügen, zwischen der Feuerlinie und dem Haus. Hinter ihm, leicht versetzt, pflügte der zweite. Nun war der umgepflügte Streifen schon breit genug. Jetzt hatte jeder sehen können, auch Irene, daß nichts mehr passieren konnte. Jetzt ging sie in Ellens Küche und setzte Wasser auf. Jetzt erschienengleichzeitig von verschiedenen Seiten Luisa, Bella und Jonas (mit dem Kuchen wohlgemerkt. – Ja, hattest du denn gedacht, wenn das Haus abgebrannt wäre, würden wir uns hinsetzen und deinen Kuchen aufessen! – Ja, Clemens. Das hatte ich gedacht. – Wir gaben zu, direkt falsch gedacht war es nicht) und, auf der Straße, Ellen mit dem Auto. Die Jungen sprangen heraus und stellten sich zu der Menschenkette, die immer noch das Feuer bewachte. Nun wendeten die Traktoren. Und nun rückten, in kurzen Abständen, vier Feuerwehren aus den umliegenden Dörfern an. Auf einmal stand das Feld, das eben noch gebrannt hatte, voller müßiger Leute, darunter zwei Bürgermeister. Auf einmal hatte jeder mit jedem was zu reden, alle hatten mit den Armen zu fuchteln und nach verschiedenen Richtungen zu zeigen. Jonas verkündete, daß er seine Sondertruppe einsetze, die er für solche Fälle immer mit sich führe. Das Feuer, das der Wind zurück auf den schon abgebrannten Streifen trieb, fand keine Nahrung mehr und sank in sich zusammen.
    Ellen und Irene schwiegen. Was sie nicht erzählten: Wie Ellen das Haus betreten hatte, das in ihr abgebrannt war. Wie sie das Steinmuster im Flur wahrgenommen hatte, und wie sie nicht gewußt hatte, wo sie war und ob sie einen sehr deutlichen Traum gehabt hatte oder jetzt eine sehr schwache Wirklichkeit erfuhr. Wie sie dann die Tür zur Küche aufstieß und Irene da stand, am Fenster, mit dem Rücken zu ihr, und der Wasserkessel zu pfeifen anfing. Wie Irene herumfuhr. Wie sie beide aufeinander zustürzten. Sich in die Arme fielen. Weinten. Lachten. Wie Ellen das Gas abdrehte. Irene fragte, wo denn bei ihr der Kaffee sei, Ellen vomHolzbrett über dem Tisch die Büchse herunterlangte: Hier.
    Und dann kamen schon, wie gesagt, Luisa und Bella mit ihrem Kuchen.

19.
    Was machst du, Steffi. Wohin treibst du. Wohin läßt du dich gehen. Krankenhaus, höre ich dich am Telefon, wieder Krankenhaus, Hepatitis, sagen sie, wer soll das glauben. Morgen werde ich dir schreiben, daß du daran glauben sollst. Heute, nur heute noch, werde ich dir keine Lügen schreiben. Heute rede ich wahrhaftig mit dir, wie mit einer Toten. Es sind so Zeiten, denk ich manchmal, daß man nur mit den Toten wahrhaftig reden kann. Morgen werde ich dir schreiben, du sollst die Droge, die sie dir am Tropf einflößen werden, als heilbringend annehmen, du sollst sie ruhig in deinen Blutbahnen kreisen und wirken lassen. Das beste wäre, werde ich dir schreiben, du könntest innerlich daran teilnehmen, wie die Heilflüssigkeit die entzündeten Zellen – »entzündet« werde ich dir schreiben, nicht »bösartig« – umspielt und ihnen wohltut. Ich werde dir versprechen, dich bald zu besuchen, dann werden wir uns ansehen, und unsere Augen werden eine andere Sprache sprechen als unsere Münder.
    Heute, Steffi, wollen wir auf den Regen hören. Es regnet seit dem frühen Morgen. Als ich aufwachte, sah ich durch das Ochsenauge, wie sich in schneller Folge klare Tropfen vom struppigen Rand des Rohrdachs lösten. Eine helle Freude. Du hattest noch nicht angerufen. Inmir war schon die Ungeduld, an die Arbeit zu kommen. Aus irgendeinem Zusammenhang, der mir verlorenging, drang das Wort »Bewährung« in mich ein. Ich habe keine Bewährung mehr. Was ich mache oder nicht mache, gilt. Solche Sätze denkt man, wenn der Schreck über sie nicht mehr
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