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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1
Autoren: Marion Chesney
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Erstes Kapitel
    Bis zum Winter des Jahres 1881 i hätte
jedermann den Pfarrer von St. Charles und St. Jude, Hochwürden Charles Armitage,
als einen sehr glücklichen Mann beschrieben.
    Sein ganzer
Stolz waren sechs schöne Töchter und zwei wohlgeratene Söhne. Er hatte eine
bläßliche, kränkelnde Frau, um die er sich aber nicht allzu sehr kümmerte, und
er hatte vor allem seine Jagdpferde und Jagdhunde. Man kannte ihn als
fröhlichen, robusten Mann, der in einem Pfeffer-und-Salz-Rock an Fuchsjagden
teilnahm und in fast jedem bedeutenderen Hause in der Grafschaft Berham ein
gern gesehener Tischgast war.
    Freilich
waren die Sonntage dazu angetan, zu einer lästigen Angelegenheit für ihn zu
werden, wenn er mit schmerzendem Kopf und Sodbrennen die Kanzel betreten
mußte, um die Predigt zu halten, die seine älteste Tochter, Minerva,
pflichtgetreu für ihn verfaßt hatte.
    Dafür waren
die anderen Tage wunderbar und ausgefüllt mit Hetzjagden, Schießen und Angeln.
    Die
Pfarrkinder waren an die Eigenheiten ihres Pfarrers gewöhnt, und nur ein paar
von den Frömmeren sehnten sich gelegentlich nach einem Pfarrer, dem das Wort
Gottes mehr bedeutete als die Artikel gewisser Zeitschriften wie ›Die
Sportwelt‹ und ›Der Pferderennsport‹.
    Der Pfarrer
besaß zwei Gutshöfe, die seine Haupteinnahmequelle waren. Er sträubte sich
gegen alle Vorschläge, moderne landwirtschaftliche Methoden anzuwenden, und
diese Tatsache hatte, zusammen mit mehreren ziemlich schlechten
Ernten, dazu geführt, daß er sich im Winter des Jahres 1811 i in einer
mißlichen finanziellen Lage befand. Hinzu kam, daß seine beiden Söhne, die
Zwillinge Peregrine und James, bald ihren neunten Geburtstag feierten. Sie
waren weitgehend ohne Unterricht aufgewachsen, und der Pfarrer hatte den
brennenden Wunsch, sie nach Eton zu schicken. Das bedeutete, daß sie beide
zuerst an Dr. Browns Paukschule in der Kings Road in London ein Jahr verbringen
mußten, um sich für die Aufnahmeprüfung vorzubereiten.
    Nachdem
sich das Vermögen in Luft aufgelöst zu haben schien, packte der Pfarrer eines
Tages sein Vorhaben, zu Geld zu kommen, zielstrebig an.
    Sein erster
Gedanke war, seinem Bruder, dem Baronet, einen Besuch in dessen Herrenhaus
abzustatten.
    Sir Edwin
Armitage, der Baronet, pflegte seine lange Nase über den Pfarrer zu rümpfen, da
er ihn für grob und ungehobelt hielt. Der gesellschaftliche Verkehr zwischen
den beiden Familien war nicht ganz ungezwungen. Sir Edwin war ein reicher Mann
mit zwei stolzen Töchtern und einer stolzen Frau. Er hätte schon jede
Verbindung mit dem Pfarrer abgebrochen, wenn seine Frau ihn nicht beschworen
hätte, daß es ihre Christenpflicht sei, zu diesen »bedauernswerten Armitages«
freundlich zu sein. Das hieß mit anderen Worten, daß es Lady Edwin und ihren
Töchtern großes Vergnügen bereitete, sich ihre besten Sachen anzuziehen und vor
den Armitage-Mädchen in ihren einfachen, abgetragenen Kleidern zu glänzen.
    Aber
Hochwürden Charles Armitage war entschlossen, von seinem Bruder Geld zu
ergattern, und deshalb war er sich im klaren darüber, daß er sich heute höflich
zurückhalten mußte.
    »Edwin ist
ein Lümmel, Edwin ist ein Snob, Edwin ist ein Bauerntölpel«, murmelte er im
Takt der Hufschläge seines Jagdpferdes vor sich hin, als er durch Hopeworth zum
Herrenhaus ritt, dessen Torweg sich am anderen Ende des Dorfes befand.
    Der Boden
war steinhart gefroren. Er hätte die Pfoten der Jagdhunde zerschnitten.
Hochwürden war in verdrießlicher Stimmung, weil er bei diesen
Wetterverhältnissen nicht auf die Jagd gehen konnte.
    Eine
blasse, dünne Sonne, die zu schwach war, um die kalte Luft zu erwärmen,
verschwamm im Wolkendunst. »Ich muß das Geld kriegen, ich muß das Geld
kriegen«, knurrte der Pfarrer. »Ach, meine Hunde und Pferde. Ach, Bellsire und
Thunderer, ach, Rambler und Daphne«, fuhr er fort, indem er sich die Namen
seiner Hunde zum Trost aufsagte.
    Hopeworth
war ein hübsches Dorf mit blitzsauberen Häuschen und gepflegten Gärten. Eine
spiegelglatte Eisfläche bedeckte den Weiher inmitten der Dorfwiese, und Frauen
in bunten Kleidern drängten sich um den Brunnen. Aus den ›Sechs fröhlichen
Bettlern‹, dem Wirtshaus von Hopeworth, kam ein Geruch von Bier, Brandy und
Rhabarber. Der Pfarrer überlegte, ob er schnell auf ein Glas Punsch
hineingehen sollte, um sich zu stärken, entschied sich dann aber dagegen. Es
war besser, das unangenehme Geschäft so schnell wie möglich hinter sich
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