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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
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können, noch halten wollen?
    Und hast du keine Angst vor dem Ton, den das Himmelsgewölbe hervorbringen wird, wenn jemand jetzt daran schlägt? Spürst du nicht, mittags, wie dieser Tondicht davor ist, auszubrechen und uns die Ohren zu zerreißen.
    So Tag um Tag.
    Wir wollten zusammensein. Manche Tiere haben diese Witterung, lange ehe man sie zur Schlachtbank führt. Vergleiche, nicht zu rechtfertigen, auch nicht zurückzunehmen. Wir wußten nichts, es gab keine Anzeichen. Unter nichtigen Vorwänden suchten wir jeder die Nähe des anderen. Ein Alleinsein würde kommen, gegen das wir einen Vorrat an Gemeinsamkeit anlegen wollten. Wer kann sich andauernd auf der Tagesseite der Erde halten? Wie soll man es sich versagen, wenigstens im Geiste an jene Orte zurückzukehren, die, jetzt verödet, einst jenen sehr flüchtigen Stoff zu binden wußten, für den Glück ein Verlegenheitsname ist. Soll man der Versuchung nachgeben. Darf man es denn? Noch einmal diesen Grund auslegen. Diesen Himmel aufspannen. Den Bewegungen dieser Zufallsfiguren folgen, so wie ein Kind mit dem Finger die Linien eines Labyrinths nachzeichnet, ohne den Ausgang je zu finden. Uns noch einmal die Plätze bereiten, daß wir sie einnehmen können.
    Doch wohin soll das führen. Ist Schönheit beschreibenswert?
    Eine vernichtende Frage. Was bleibt zu hoffen für eine Zeit, die vom Hohn auf Schönheit gezeichnet ist? In der eine vertrackte Art von Mut dazu gehört, von einer gewissen Baumgruppe – Ellens beiden Eichen, die genau auf der Grenze zwischen Schependonks und ihrem Grundstück standen – zu behaupten und zu wiederholen, sie sei schön.
    Dies nur als Beispiel. Luisa, die niemals fragen würde,ob zu einer Handlung oder Aussage Mut gehört, gebrauchte das Wörtchen »schön« sehr häufig, mit innigem Ausdruck und in inständigem Ton. Wir lächelten, wenn sie auf unseren Stadtgängen den Eckstein einer Treppe, eine Türklinke, eine Fensterumrahmung oder ein altes Innungsschild »schön« nannte, gar nicht zu reden von den alten Frauen, die in den kleinen alten Städten überall auf Bänken unter Bäumen, hinter einer spiegelnden Fensterscheibe, sogar auf Steintreppen vor den windschiefen bröckligen Fachwerkhäusern sitzen, die sich gegenseitig halten. Habt ihr gesehen, wie schön die war? Mit der Überlegenheit ist uns das Lächeln vergangen. Ohne Zwang, ohne Überredung hat Luisa uns sehen gelehrt. Versteht sich, daß wir uns wehrten. Wir begannen gewahr zu werden, welchen Preis der zahlt, der auf Schönheit angewiesen ist: Er ist dem Gräßlichen ausgeliefert, wie Luisa.
2.
    Natürlich war uns klar, daß man sich an nichts hängen soll. Natürlich hat ein Begriff wie »Haus« in unseren jüngeren Jahren keine Rolle gespielt. Ganz, ganz andere Wörter, erinnerte Ellen sich, hatten ihren Kopf vollständig besetzt gehalten. Was trieb sie auf Haussuche? Die Selbstrechtfertigungen, die sie sich schuldig waren, verblaßten vor Luisas Überzeugungen. Flucht? Aber wieso denn Flucht. Wo doch hier das wirkliche Leben ist. Ihr werdet sehen.
    Luisa litt, daß sie zur falschen Jahreszeit und von der falschen Seite her ins Dorf kamen. Oft, oft sind sie dannnoch von der richtigen Seite gekommen, vom Sandberg her, und beim richtigen Wetter, bei Sonne und praller Hitze. Beim erstenmal aber, davon war dann immer wieder die Rede, hatten sie sich zu Ostern, an einem kalten, windigen, regnerischen Tag, und von hinten her, über die Hügel, an das Dorf herangemacht. So habe es keinen Zweck, hatte Luisa angstvoll gesagt. So würde ihnen das Dorf nicht gefallen. Kalte Schauer schlugen ihnen ins Gesicht, sie stemmten sich gegen den Wind. Das ist hier so, sagte Luisa entschuldigend. Seenähe. Hör doch auf zu jammern, sagte Antonis, und sie lachten, daß Luisa sich für die Landschaft, die Jahreszeit und das Wetter verantwortlich fühlte. Sie kannten Luisa noch nicht gut. Wenn ihr im Sommer kommt, sagte sie, am besten mittags, wenn die Sonne senkrecht steht. Auf dem Sandberg müßt ihr anhalten. Dann seht ihr auf einmal euer Dorf daliegen, und ihr versteht gleich, warum es die Leute hier »Kater« nennen. Von rechts her, wo der Schwanz des Katers ist, springen euch die einzelnen weißen Häuser in die Augen, die leuchten nämlich, unglaublich schön ist das. Dann kommt der Knick in der Häuserreihe beim Transformatorenhäuschen, wo Schependonks Pferd grast, aufgedunsen vom Gras und von der Hitze, als müßte es platzen, aber euer Haus seht ihr immer noch nicht. Ganz
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