Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
unerträglich ist. Ich bin mir nicht sicher, daß ich alle die Sätze kennen möchte, die du denkst.
    – Das glaub ich. Über die Toten nichts als Gutes. Damit sie nicht stören. Damit ihr euch Zwang antun könnt. Und uns auch. Warum diese Angst vor meinen Sätzen?
    – So. Du redest mit. Also gut. Ich habe vorhin, als ich meine Gewürze sortierte, ohne Umschweife an deinen Tod gedacht, und am liebsten würde ich dir jetzt ganz genau beschreiben, welche Gewürze ich in welcher Menge in die Kartoffelsuppe tue – Senf, Steffi, vergiß nie ein Teelöffelchen Senf! –, weil ich ja weiß, daß auch du süchtig auf Einzelheiten bist, in die das Leben sich verkriecht. Was du nicht erleben wirst: Wie diese Sucht zum Alter hin anwächst.
    – Und zum Tod hin auch.
    – Wenn man jung stirbt, wie du. Also erzähl ich dir noch ein paar Einzelheiten. Wie zum Beispiel vorhin ein Wartburg auf den Hof gefahren kam, wie im platschenden Regen zwei Männer zum Kücheneingang rannten, unser Elektriker und ein Monteur aus der Bezirksstadt, die sich in den Kopf gesetzt hatten, unseren neuen Zähler anzuschließen, damit wir im Bad warmes Wasser bekämen. Das haben wir nun, und schon nach einer Stunde bin ich daran gewöhnt. Ich habe den Männern die Taschenlampe gehalten und den schwarzen Geschichten zugehört, die sie sich über den elektrischenStrom erzählten. Für sie ist »der Strom« ein wildes, unberechenbares Wesen, das sie mit sicherer Hand zur Raison bringen. Du würdest es nicht glauben, wie stark die Stromstöße sein können, die ein Elektriker verträgt. Das sei eine Frage der Einstellung. Man müsse »den Strom« einfach widerstandslos durch sich hindurchfließen lassen, da findet der keinen Vorwand, einem was anzutun. Als ich dann über meinen Papieren saß, bei der schönsten Arbeit: Entwürfe machen, hab ich denken müssen: Auch das ist ja eine Frage des Stillhaltens. Den Strom durch dich hindurchfließen lassen, den Widerstand immer mehr verringern, ihn schließlich ganz aufgeben. Immer wieder erstaunlich, daß man dann hohe Spannungen in Energie umsetzen kann.
    – Manche sagen, einem jeden sei nur ein bestimmter Energievorrat mitgegeben, den kann er schnell verzehren, oder er kann haushälterisch damit umgehn, dann reicht er länger. Und wenn der Vorrat zu Ende geht, erfindet der Körper einen Vorwand, um abzutreten.
    – Spekulation. Sparsam bist du jedenfalls nicht gewesen, Steffi. Eher verschwenderisch.
    – Was dich gestört hat.
    – Manchmal. Manchmal hat es mich gestört, wie du dich verzettelt hast.
    – Weil du, immer schon, insgeheim gefragt hast: Was bleibt.
    – Was bleibt, Steffi. Was bleibt. Ich seh uns dahinschmelzen wie unter zu starker Strahlung, ein zeitgemäßes Bild, ich weiß. Die Umrisse unserer Großeltern scheinen mir, verglichen mit unseren, dauerhafter zu sein. Ich sehe unsere Umrisse sich auflösen. Es scheint uns nicht bestimmt zu sein, Konturen zu gewinnen.Was alles haben wir ausprobiert, uns zu befestigen, in wie viele Häute sind wir geschlüpft, in wie vielen Räumen haben wir Schutz gesucht. Unser alter Trieb nach Höhlen, Wärme, Miteinandersein ist zu schwach gegen die Weltraumkälte, die hereinströmt. Und all die vielen Fotos, die wir von unseren vielen Gesichtern machen lassen, sind weniger haltbar als das eine steife Hochzeitsfoto unserer Großeltern.
    – Ich habe, das weißt du, gerade mit Fotos die Löcher in unseren Höhlenwänden verdecken wollen. Aufgeregt, mit dem größten Entzücken habe ich immer im Entwicklerbad das Bild kommen sehen. Manchmal habe ich an die Leute gedacht, die diese Fotos betrachten werden, wenn ich tot bin.
    – Was bleibt, sind Bilder. Jetzt will ich dich sehen. Jetzt lächle, daß ich dich seh. Jetzt mach mir keine Angst und versteck dich.
    – Was siehst du denn, ohne mich.
    – Ich seh einen grünen Schimmer, der kommt vom Apfelbaum vor dem Bodenfenster, er filtert das Licht. Die Blätter, seh ich, sind noch nicht gebildet.
    – Das war im April.
    – Ich seh das honigfarbene Holz, mit dem der ganze Bodenraum ausgeschlagen ist.
    – Was mir so gefiel.
    – Was so gut brennt. Ich seh das hölzerne Geländer der Treppe, die in knappem, schönem Bogen heraufführt. Jetzt seh ich dein Lächeln. Jetzt seh ich dich. Du sitzt auf der obersten Treppenstufe. Dein Gesicht ist verschattet.
    – Ich sagte, in einem solchen Raum würde ich auch leben wollen.
    – Ich wußte, du würdest nie in einem solchen Raum leben. Ich sah, wie bevorzugt ich war.
    –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher