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Glitzerbarbie

Glitzerbarbie

Titel: Glitzerbarbie
Autoren: Steffi Wolff
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    Ich kann eines nicht ertragen: beim Arzt warten zu müssen. Furchtbar, dieser Geruch im Wartezimmer, eine Mischung aus Schweiß und irgendwas Medizinischem. Und dazu ein Lesezirkel aus den siebziger Jahren, mit Silvia Sommerlath auf der Bunten, die gerade Königin von Schweden wird. Wie viele Bakterien kleben wohl auf jeder einzelnen Seite? Und warum geben einem diese arroganten Fräulein Monikas und Silkes eigentlich einen Termin für halb drei, wenn man sowieso erst gegen Mitternacht drankommt, um dann von einem entnervten Allgemeinmediziner gefragt zu werden »wie es uns denn geht«? Ich habe regelmäßig Rachegedanken, wenn ich länger als eine Viertelstunde in einem Wartezimmer zubringen muss, und stelle mir vor, wie ich heimlich Blutabnahmen vertausche oder im Labor brandstifte.
     
    Wenn ich wenigstens wegen einer Krankheit in dieser Praxis sitzen würde, aber nein, ich sitze mit und wegen Richard hier. Richard ist einer meiner besten Freunde und hatte schon vor längerer Zeit das Bedürfnis, eine Frau zu werden. Damals hat er es mir nicht einfach gesagt, sondern sich in meinem Schlafzimmer mit 2 , 8 Promille heimlich verkleidet, um mich dann entsetzlich zu erschrecken. Aber auf Richard lasse ich nichts kommen. Er ist der liebste Albino, den ich kenne. Außerdem ist er ein wandelnder Baumarkt und kann super Böden versiegeln und Schränke zusammenbauen. Richard könnte ohne weiteres den Schiefen Turm von Pisa mit ein paar Keilen wieder gerade stellen. Und würde dann fragen, ob er ihn noch wetterbeständig streichen soll.
    Wir sitzen jetzt seit zwei Stunden hier im Wartezimmer dieses
plastischen Chirurgen. Mir gegenüber eine Frau, die aussieht wie eine Industriellengattin, die einen Vertrag mit einem Pornoproduzenten hat. Ihre überdimensionalen Brüste sprengen fast ihre Bluse, richtig gerade sitzen kann sie auch nicht, weil das Gewicht sie zu einer nach vorn gebückten Haltung zwingt. Sie trägt an jeder Hand acht Ringe und glotzt uns ununterbrochen durch ihre randlose Brille an. Ob sie mal ein Mann war? Ich traue mich nicht zu fragen.
    Richard ist fürchterlich nervös. Er hat sich extra angezogen wie ein Mann, weil er dem Mediziner so zeigen will, dass er eigentlich in Frauenklamotten gehört. Das ist zwar nicht ganz nachzuvollziehen, weil er in Jeanshemd und Levi’s 501 einfach wie ein ganz normaler Mann aussieht, aber gut, aber gut.
     
    Muss dauernd aufstoßen, was mir furchtbar peinlich ist. Wir haben gestern Abend Lasagne gemacht, es war kein Salz mehr im Haus, und ich habe mir bei einer Nachbarin was ausgeliehen. Leider hatte Frau Schmitz ihre Brille verlegt und hat mir Spülmaschinensalz in die Hand gedrückt, was zur Folge hatte, dass uns allen ein wenig schlecht wurde von der Lasagne.
    Gero, mein schwuler Freund, meinte, wenn man bei mir nicht aufpasst, landet man schneller unter der Erde, als einem lieb ist.
    Ich heiße Carolin Schatz, bin 35  Jahre alt und weigere mich zu sagen, dass ich Mitte dreißig bin. Das hört sich so an, als wäre ich bald Ende dreißig, was ja auch stimmt, ich aber nicht wahrhaben will. Ich besitze keine Waage und kann deswegen mit gutem Gewissen immer sagen, dass ich nicht weiß, wie viel ich wiege. Ich esse nie Obst, wenig Gemüse, wenn, dann mit Sahnesoße, und von allem die doppelte Portion. Doppelte Portionen sind etwas Herrliches. Man weiß schon vorher, dass man ganz bestimmt satt wird.
    Außerdem sind Menschen, die gern essen, lustige Menschen,
mit denen man gern was unternimmt. Bestimmt habe ich deswegen einen so tollen Freundeskreis. Und einen Freund, der genau so gern isst wie ich, habe ich auch. Ich bin jetzt drei Monate mit Marius zusammen und wir sind immer noch total verliebt ineinander. Wir wohnen zusammen und gehen uns immer noch nicht auf den Keks. Obwohl ich nie den Müll runterbringe und nie die Badewanne putze und »Home Shopping Europe« verfallen bin, hat er mich noch lieb. Vielleicht deswegen, weil ich ihm immer seinen Lieblingsrasierschaum kaufe. Auf dem Rand der geöffneten Flasche steht nämlich »Guten Morgen!«.
    Marius behauptet, es sei doch nett, morgens von einer Rasierschaumdose begrüßt zu werden. Menschen, die überhaupt keine Freunde haben, sollten sich ganz viel Rasierschaum kaufen und bei allen Dosen die Deckel offen lassen. Dann begrüßt einen morgens quasi die Clique im Bad.
     
    Endlich, endlich kommt Fräulein Monika und sagt, der Herr Doktor ließe bitten. Richard springt ruckartig auf. Er hat vor Aufregung rote Flecken
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