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Lesereise Paris

Lesereise Paris

Titel: Lesereise Paris
Autoren: Rudolph Chimelli
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Die schönste Stadt der Welt
Vorwort
    Nichts ist einfacher, als über Paris zu schreiben: Es ist, wie jeder weiß, die schönste Stadt der Welt. Immer tut sich etwas, die Themen liegen auf der Straße, es wimmelt von interessanten Leuten. Jeder möchte hier leben, und viele schaffen es sogar. Wenn immer jemand zwischen Kansas City und Przemyśl sich selber für intelligent, sensibel, kultiviert und fortschrittlich hält, dann träumt er wenigstens davon. Arriviert ist in Frankreich sowieso bloß, wer sich in Paris sehen lassen kann. Nirgendwo dürfte es pro Quadratkilometer mehr Restaurantsterne geben oder ein reicheres Kulturerbe. Nur wer sich gern langweilt, wird anderswo besser bedient. Unter Journalisten geht deshalb die Rede, mehr als Pariser Korrespondent könne der Mensch nicht werden. Sicher gibt es Hauptstädte, die wichtiger sind, und andere, in denen das Tempo schonender ist. Aber die Kombination von Lebensqualität für den Verfasser und automatischer Beachtung, welche die Datumszeile Paris findet, ist nicht leicht zu übertreffen. Und dennoch. Fast nichts ist schwerer, als über Paris zu schreiben. Denn viele, sehr viele haben es schon getan. Wer läuft gern in Konkurrenz zu Hemingway und Heine?
    Dass Paris immer Paris bleibt, lässt sich das Publikum freudig in der Schlussnummer des Moulin Rouge bestätigen, nach dem Cancan. Einen Katalog der immerwährenden Sehenswürdigkeiten, samt Öffnungszeiten, enthält jeder Reiseführer. Für einen Reporter wäre es dagegen die archetypische Hund-beißt-Mann-Geschichte, dass der Eiffelturm noch steht und die Metro noch fährt. Sein täglich Brot sind die Ereignisse, nicht die Zustände. Es ist die untilgbare Hypothek unseres Metiers, dass die Aktualität immer Vorrang genießt, obwohl die Zustände meistens folgenreicher sind. Und wenn der Schreiber sich schon einmal mit Zuständen beschäftigen darf, dann müssen es wieder deren Veränderungen sein. Im Westen nichts Neues, alles beim Alten am Montmartre – das will keine Zeitung drucken und kein Leser lesen. Die Krux besteht darin: Wenn man jemanden liebt, dann möchte man nicht, dass er – schon gar nicht – dass sie sich verändert. Große Männer, die das Bewusstsein Frankreichs so stark prägten wie der Historiker Michelet oder der General de Gaulle, haben Frankreich immer als Person gesehen, als weibliche Person, versteht sich. Noch weniger mag sich jemand die Personifizierung der Stadt Paris als Mann vorstellen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sich in Reportagen so oft ein nörgelnder, mäkelnder, querulantischer Ton einschleicht: Die Figur der Person Paris ist breit geworden, graue Strähnen von Pollution ziehen sich durch das heitere Pastell, nicht mehr sorglos fröhlich und frivol wie früher ist sie, sondern habgierig und berechnend. Und dergleichen. Natürlich kommen solche Unkenrufe auch aus den anderen Kapitalen der Erde. Aber Paris ist nicht irgendeine Stadt. Die große Kollegin Ursula von Kardorff hat schon vor dreißig Jahren einem gescheiten, nostalgischen Buch den Titel »Adieu, Paris« gegeben. Der Ton, den sie anschlug, stimmte bereits damals – und reicht heute noch nicht für die ganze Melodie. Weil Paris einmalig ist, stellen Liebhaber hohe Ansprüche. Sogar Wehklagen sind verschlüsselte Liebeserklärungen, mindestens Komplimente.
    In einer anderen Epoche der Geschichte, die Sowjetunion wirkte noch beständig, berichtete ich aus Moskau. Wann immer ich aus den Ferien im Westen aufbrach, um an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren, betrachteten Freunde mich mit einer Mischung von Schaudern und Bewunderung: der Mann, der in die Kälte ging, in Mangelwirtschaft, Bespitzelung und in ein Laufgitter, das ihn von der russischen Wirklichkeit abschirmte. So schlimm war es auch wieder nicht. Der real existierende Sozialismus hatte seine Kompensationen. Auf dem Markt gab es duftende, reife Erdbeeren, wie sie Paris schon lange nicht mehr kennt. Ein Kolchosbauer hatte sie am Morgen von seinem handtuchgroßen Privatbeet gepflückt. Mit einem Pariser Besucher ging ich ins Bolschoi-Theater. Während er seinen Platz aufsuchte, zog ich eine Schleife zum Theaterrestaurant. Ein sehr bescheidenes Trinkgeld genügte, und für die Pause war ein Tisch mit Kaviar und einer Flasche Schampanskoje reserviert. Der Kollege, der schon von meiner bevorstehenden Übersiedlung wusste, wurde beim Anblick aufgeregt. »Das«, prophezeite er, »das wird dir in Paris nicht gelingen.« Von einem Buch über Moskau, das ich
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