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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)
Autoren: Mitch Albom
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Der Lehrplan
    Der letzte Kurs im Leben meines alten Professors fand einmal in der Woche in seinem Haus statt, neben einem Fenster im Arbeitszimmer, wo auf der Fensterbank ein kleiner Hibiskus seine rosafarbenen Blüten abwarf. Der Professor und sein Schüler trafen sich dienstags. Der Unterricht begann nach dem Frühstück. Das Thema war der Sinn des Lebens. Die Lektionen basierten auf Erfahrung.
    Es gab keine Zeugnisse, aber jede Woche fanden mündliche Prüfungen statt. Es wurde erwartet, daß man auf Fragen antwortete, und ebenso, daß man selbst Fragen stellte. Zudem wurde verlangt, daß man gelegentlich bestimmte pflegerische Aufgaben übernahm, beispielsweise den Kopf des Professors auf einen bequemen Platz auf dem Kissen zu betten oder ihm die Brille auf den Nasenrücken zu setzen. Wenn man ihm zum Abschied einen Kuß gab, dann gab das zusätzliche Punkte.
    Man brauchte keine Bücher zu lesen, aber es wurden viele Themen behandelt, einschließlich Liebe, Arbeit, Gemeinschaft,
Altern, Verzeihen und am Ende der Tod. Der letzte Vortrag war kurz, nur ein paar Worte.
    Statt der Abschlußfeier fand eine Beerdigung statt. Zwar gab es keine Abschlußprüfung, aber es wurde erwartet, daß man über das, was man gelernt hatte, ein langes Referat schrieb. Das Referat ist dieses Buch.
    Im letzten Kurs im Leben meines alten Professors gab es nur einen Studenten.
    Der Student war ich.
     
     
     
    Es ist einer der letzten Frühlingstage des Jahres 1979, ein heißer, schwüler Samstagnachmittag. Hunderte von uns sitzen aufgereiht auf hölzernen Klappstühlen auf dem Rasen des Campus. Wir tragen blaue Nylonroben und lassen ungeduldig eine lange Rede nach der anderen über uns ergehen.Als die Feier zu Ende ist, werfen wir unsere Kappen in die Luft, denn jetzt haben wir offiziell unseren Collegeabschluß erreicht, wir, die oberste Klasse des Brandeis College in Waltham, Massachusetts. Für viele von uns ist erst in diesem Moment die Kindheit endgültig vorbei.
    Hinterher gehe ich zu Morrie Schwartz, meinem Lieblingsprofessor, und stelle ihn meinen Eltern vor. Er ist ein kleiner Mann, der kleine Schritte macht, als könnte ihn ein starker Windstoß jederzeit zu den Wolken emportragen. In seiner Robe für den Tag der Abschlußfeier sieht er aus wie eine Kreuzung zwischen einem biblischen Propheten und einem Kobold. Er hat funkelnde blaugrüne Augen, sich lichtendes silbriges Haar, das ihm in die Stirn fällt, große Ohren, eine dreieckige Nase und dicke Büschel ergrauender Augenbrauen. Obwohl seine Zähne krumm sind und die unteren schräg nach hinten stehen,
als hätte sie ihm irgend jemand eingeschlagen – wenn er lächelt, ist es, als hättest du ihm gerade eben den ersten Witz auf Erden erzählt.
    Er erzählt meinen Eltern, wie ich in seinen Kursen abgeschnitten habe. Er sagt zu ihnen: »Ihr Junge ist etwas ganz Besonderes.« Verlegen schaue ich auf meine Füße. Bevor wir fortgehen, überreiche ich meinem Professor ein Geschenk, eine hellbraune Aktenmappe mit seinen Initialen auf der Vorderseite. Ich habe sie am Tag zuvor gekauft. Ich wollte ihn nicht vergessen. Vielleicht wollte ich nicht, daß er mich vergißt.
    »Mitch, du bist ein feiner Kerl«, sagt er und bewundert die Aktenmappe. Dann umarmt er mich. Ich fühle seine dünnen Arme um meinen Rücken. Ich bin größer als er, und wenn er mich in den Armen hält, bin ich ein wenig verlegen, fühle mich älter, als wäre ich der Vater und er das Kind.
    Er fragt, ob wir in Verbindung bleiben, und ohne Zögern sage ich: »Natürlich.«



Die Krankheit
    Sein Todesurteil kam im Sommer 1994. Aber rückblickend hatte Morrie schon lange vorher gewußt, daß etwas Schlimmes auf ihn zukam. Er wußte es an dem Tag, an dem er das Tanzen aufgab.
    Er war immer ein Tänzer gewesen, mein alter Professor. Was für Musik gespielt wurde, war unwichtig. Rock ’n’ Roll, Big Band, Blues. Er liebte Musik, in jeder Form. Dann schloß er die Augen und begann, mit einem seligen Lächeln nach seinem eigenen Gefühl für Rhythmus zu tanzen. Es war nicht immer schön anzusehen. Aber schließlich brauchte er sich auch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was seine Partnerin davon halten mochte. Morrie tanzte allein.
    Er ging jeden Mittwochabend in diese Kirche auf dem Harvard Square, um an einem »Dance Free« teilzunehmen. Es gab da blitzende Lichter und aufdringliche Redner, und Morrie wanderte zwischen den Leuten, fast alles Studenten, umher. Er trug ein weißes T-Shirt, schwarze
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