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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)
Autoren: Mitch Albom
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Gehstock benutzte, trat er auf den Bordstein und fiel auf die Straße. Der Stock wurde gegen einen Laufstuhl eingetauscht. Als sein Körper immer schwächer wurde, wurde das Hin und Her zum Badezimmer zu anstrengend, deshalb begann Morrie, in ein großes Becherglas zu urinieren. Dabei mußte er sich stützen, was bedeutete, daß jemand das Becherglas halten mußte, während Morrie es füllte.
    Die meisten von uns würden all dies als peinlich empfinden, vor allem in Morries Alter. Aber Morrie war nicht wie die meisten von uns. Wenn einer von den Kollegen, die er näher kannte, ihn besuchte, dann sagte er einfach zu ihm: »Hör mal, ich muß pinkeln. Würde es dir was ausmachen, mir zu helfen? Ist das in Ordnung für dich?«
    Häufig war es für den Betreffenden zu seiner eigenen Überraschung tatsächlich in Ordnung.
    Tatsächlich wuchs die Zahl seiner Besucher stetig. Er leitete
Diskussionsrunden über das Sterben. Darüber, was es wirklich bedeutete und daß die Menschen immer Angst davor gehabt hatten, ohne es zu verstehen. Er sagte seinen Freunden, wenn sie ihm wirklich helfen wollten, dann würden sie ihn nicht bemitleiden, sondern ihn besuchen, anrufen, ihm von ihren Problemen erzählen – so, wie sie ihm immer von ihren Problemen erzählt hatten, weil Morrie immer ein wunderbarer Zuhörer gewesen war.
    Denn trotz allem, was mit ihm passierte, war seine Stimme stark und einladend, und er sprudelte über von Gedanken. Es ging ihm darum zu beweisen, daß das Wort »sterben« nicht ein Synonym für »nutzlos« war. Das neue Jahr begann. Zwar sagte er es niemandem, aber Morrie wußte, daß dies das letzte Jahr seines Lebens sein würde. Er saß mittlerweile in einem Rollstuhl, und er kämpfte gegen die Zeit, weil es noch so viele Dinge gab, die er all den Menschen, die er liebte, sagen wollte. Als ein Kollege am Brandeis College plötzlich an einem Herzanfall starb, ging Morrie zu seiner Beerdigung. Er kehrte deprimiert nach Hause zurück.
    »Was für eine Verschwendung«, sagte er. »All diese Leute, die all diese wunderbaren Dinge sagen, und Irv hat nichts davon hören können.«
    Morrie hatte eine bessere Idee. Er rief ein paar Leute an und setzte einen Termin fest. So fand sich an einem kalten Sonntagnachmittag bei ihm zu Hause eine kleine Gruppe von Freunden und Familienmitgliedern ein, um eine »lebendige Beerdigung« zu feiern. Jeder von ihnen hielt eine kleine
Rede, sprach ein paar Worte der Anerkennung über meinen alten Professor. Einige weinten. Einige lachten. Eine Frau las ein Gedicht vor:
    »Mein lieber und liebevoller Cousin …
dein altersloses Herz,
wie du die Zeit hinter dir läßt,
Schicht um Schicht,
zarter Mammutbaum …«
    Morrie weinte und lachte mit ihnen. Und all jene tiefen Gefühle, die wir denen gegenüber, die wir lieben, niemals äußern, brachte Morrie an jenem Tag zum Ausdruck. Seine »lebendige Beerdigung« war ein gewaltiger Erfolg.
    Nur, daß Morrie noch nicht tot war.
    Tatsächlich stand ihm der ungewöhnlichste Abschnitt seines Lebens noch bevor.



Der Student
    An dieser Stelle sollte ich erklären, was seit jenem Sommertag, als ich meinen verehrten und weisen Professor umarmt und ihm versprochen hatte, mit ihm in Kontakt zu bleiben, bei mir passiert war.
    Ich blieb nicht mit ihm in Kontakt.
    Tatsächlich verlor ich den Kontakt zu den meisten Leuten, die ich im College gekannt hatte, einschließlich meiner damaligen Freunde und der ersten Frau, mit der ich jemals am Morgen gemeinsam aufgewacht war. Die Jahre nach meiner Abschlußfeier machten mich härter, verwandelten mich in jemanden, der ganz anders war als der großspurige Collegeabgänger, der auf dem Weg nach New York City war, bereit, der Welt sein Talent zu Füßen zu legen.
    Die Welt, so entdeckte ich, war kein bißchen interessiert. Mit Anfang Zwanzig lief ich verwirrt durch die Gegend, zahlte meine Miete und las Kleinanzeigen und fragte mich, warum die Ampeln für mich nicht grün wurden. Mein Traum war, ein berühmter Musiker zu werden (ich spielte Klavier),
aber nach mehreren Jahren der dunklen, leeren Nachtclubs, der gebrochenen Versprechen, der Bands, die immer wieder auseinanderfielen, und der Produzenten, die von jedem, außer von mir, begeistert zu sein schienen, wurde der Traum schal. Zum ersten Mal in meinem Leben scheiterte ich.
    Zugleich hatte ich meine erste ernste Begegnung mit dem Tod. Mein Lieblingsonkel, der Bruder meiner Mutter, der Mann, der mich Musik gelehrt und mir das Autofahren
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