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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)
Autoren: Mitch Albom
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warum.
    Es war Dienstag.
    »My father moved through theys of we,
singing each new leaf out of each tree
(and every child was sure that spring
danced when she heard my father sing)…« 2
     
    E. CUMMINGS,
VORGELESEN VON MORRIES SOHN ROB
BEIM BEGRӒBNISGOTTESDIENST



Der Unterricht geht weiter
    Ich schaue manchmal zurück auf den Menschen, der ich war, bevor ich meinen alten Professor wiederentdeckte. Ich möchte mit jenem Menschen reden. Ich möchte ihm sagen, wonach er suchen, welche Fehler er vermeiden soll. Ich möchte ihm sagen, er solle offener sein, die Verlockungen der Werbung ignorieren, aufmerksam zuhören, wenn die Menschen, die er liebt, reden. Er solle zuhören, als wäre es das letzte Mal, daß er sie reden hört.
    Vor allem möchte ich jenem Menschen sagen, er solle sich in ein Flugzeug setzen und einen freundlichen alten Mann in West Newton, Massachusetts, besuchen, lieber früher als später, bevor dieser alte Mann krank wird und nicht mehr fähig ist zu tanzen.
    Ich weiß, daß ich dies nicht tun kann. Niemand von uns kann ungeschehen machen, was wir getan haben, oder ein Leben, das bereits gelebt wurde, noch einmal leben. Aber wenn Professor Morrie Schwartz mir überhaupt irgend etwas beigebracht hat, dann dieses: Es gibt nicht so etwas wie
ein »zu spät« im Leben. Er veränderte sich bis zu dem Tag, an dem er sich verabschiedete.
    Nicht lange nach Morries Tod erreichte ich meinen Bruder in Spanien. Wir hatten ein langes Gespräch. Ich sagte ihm, daß ich sein Bedürfnis nach Distanz respektiere und daß ich nur eines wolle: mit ihm in Kontakt sein – in der Gegenwart, nicht nur in der Vergangenheit –, um ihn so sehr in mein Leben einzubinden, wie er es zulassen konnte.
    »Du bist mein einziger Bruder«, sagte ich. »Ich möchte dich nicht verlieren. Ich liebe dich.«
    Ich hatte so etwas noch nie zuvor zu ihm gesagt.
    Ein paar Tage später erhielt ich ein Fax von ihm. Es war mit den ausufernden Großbuchstaben geschrieben, die die Schrift meines Bruders immer charakterisiert hatten.
    »HI, ICH HABE DEN ANSCHLUSS AN DIE NINETIES GEFUNDEN!« begann er. Er erzählte ein paar kleine Stories, was er in jener Woche getan hatte, ein paar Witze. Der Schlußsatz lautete folgendermaßen:
    ICH HABE IM AUGENBLICK SODBRENNEN UND DURCHFALL –
DAS LEBEN IST ZUM KOTZEN.
SOLLTEN WIR UNS SPӒTER UNTERHALTEN?
(Unterschrift) KRANKER ECKZAHN
    Ich lachte, bis mir die Tränen in die Augen stiegen.
     
    Dieses Buch war weitgehend Morries Idee. Er nannte es unsere »letzte Doktorarbeit«. Wie die besten Arbeitsprojekte brachte es uns einander näher, und Morrie freute sich, als mehrere Verleger Interesse bekundeten, obwohl er starb, bevor er irgendeinen von ihnen kennenlernte. Der Vorschuß half, Morries enorme Arztrechnungen zu bezahlen, und dafür waren wir beide dankbar.
    Der Titel fiel uns übrigens einesTages in Morries Büro ein. Morrie hatte mehrere Ideen. Aber als ich sagte: »Wie wär’s mit: Dienstags bei Morrie? «, da lächelte er und schien fast ein bißchen rot zu werden, und ich wußte, daß ich das Richtige getroffen hatte.
    Nachdem Morrie gestorben war, sah ich Kästen mit altem Collegematerial durch. Und ich entdeckte ein Referat, das ich für einen seiner Kurse geschrieben hatte. Es war mittlerweile zwanzig Jahre alt. Auf der ersten Seite standen Bemerkungen, die ich mit Bleistift für Morrie darauf gekritzelt hatte, und darunter standen seine Kommentare, die an mich gerichtet waren.
    Meine begannen: »Lieber Coach …«
    Seine begannen: »Lieber Spieler …«
    Aus irgendeinem Grunde vermisse ich ihn jedesmal, wenn ich das lese, ein wenig mehr.
    Haben Sie jemals einen richtigen Lehrer gehabt? Jemand, der Sie als etwas Rohes, aber Kostbares betrachtete, ein Juwel, das, wenn man es richtig anfaßte, auf Hochglanz poliert werden konnte? Wenn Sie das Glück haben, einmal einen solchen
Lehrer gefunden zu haben, dann werden Sie auch immer wieder den Weg zu ihm finden. Manchmal ist der Weg nur in Ihrem Kopf. Manchmal führt er Sie direkt an sein Bett.
    Der letzte Kurs im Leben meines alten Professors fand einmal in der Woche in seinem Haus statt, neben einem Fenster im Arbeitszimmer, wo auf der Fensterbank ein kleiner Hibiskus seine rosafarbenen Blüten abwarf. Der Professor und sein Schüler trafen sich dienstags. Man brauchte keine Bücher. Das Thema war der Sinn des Lebens. Die Lektionen basierten auf Erfahrung.
    Der Unterricht geht weiter.

Die Originalausgabe erschien 1997
unter dem Titel
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