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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)
Autoren: Mitch Albom
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Donner gerührt. Aber Morrie war mittlerweile fähig, über seinen Körper Witze zu machen. Je mehr er sich dem Ende näherte, desto mehr betrachtete er ihn als eine bloße Hülle, einen Behälter der Seele. Er schrumpelte ohnehin zu einem Haufen nutzloser Haut und Knochen zusammen und das machte es leicht, ihn loszulassen.
    »Wir fürchten uns schrecklich vor dem Anblick des Todes«, sagte Morrie, als ich mich hinsetzte. Ich befestigte das
Mikrofon an seinem Kragen, aber es kippte immer wieder herunter. Morrie hustete. Er hustete jetzt ständig.
    »Neulich las ich ein Buch. Sobald jemand im Krankenhaus stirbt, hieß es dort, zieht das Personal die Bettücher über den Kopf des Toten, rollt die Leiche zu irgendeiner Rutsche und schubst sie hinunter. Man kann es nicht erwarten, sie aus den Augen zu haben. Die Leute verhalten sich, als wäre der Tod ansteckend.«
    Ich fummelte mit dem Mikrofon herum. Morrie schaute auf meine Hände.
    »Er ist nicht ansteckend, weißt du. Der Tod ist so natürlich wie das Leben. Er ist ein Teil des Handels, den wir abgeschlossen haben.«
    Er hustete noch einmal, und ich trat einen Schritt zurück und wartete, ständig darauf gefaßt, daß etwas Schlimmes geschah. Morrie hatte in letzter Zeit schlimme Nächte gehabt. Erschreckende Nächte. Er konnte nur wenige Stunden hintereinander schlafen, bevor heftige Hustenanfälle ihn aufweckten. Dann kamen die Krankenschwestern ins Zimmer gerannt, klopften ihm auf den Rücken, versuchten, das Gift zu lösen. Selbst wenn er dann wieder normal atmen konnte – »normal« bedeutete, mit Hilfe des Sauerstoffgeräts –, bewirkte der Kampf, daß er den ganzen nächsten Tag erschöpft war.
    Der Sauerstoffschlauch befand sich jetzt in seiner Nase. Ich haßte den Anblick. Für mich symbolisierte er Hilflosigkeit. Ich hätte ihn am liebsten herausgezogen.
    »Gestern nacht…«, sagte Morrie leise.
    »Ja? Gestern nacht …?«
    »… hatte ich einen schrecklichen Anfall. Er dauerte Stunden. Und ich war wirklich nicht sicher, ob ich es schaffen würde. Kein Atem. Endlose Erstickungsanfälle. Irgendwann begann ich, mich schwindlig zu fühlen … und dann spürte ich einen gewissen Frieden, ich spürte, daß ich bereit war zu gehen.«
    Seine Augen weiteten sich. »Mitch, es war ein unglaubliches Gefühl. Ich akzeptierte, was geschah, und hatte ein Gefühl von tiefem Frieden. Ich dachte über einen Traum nach, den ich in der letzten Woche hatte. In dem Traum überquerte ich eine Brücke und ging in etwas Unbekanntes hinein. Ich war bereit, weiterzugehen und das anzunehmen, was als nächstes kommt.«
    »Aber du hast es nicht getan.«
    Morrie wartete einen Augenblick. Er schüttelte matt den Kopf. »Nein. Aber ich hatte das Gefühl, ich könnte es. Verstehst du? Das ist etwas, wonach wir alle suchen. Ein Gefühl des Friedens bei der Vorstellung zu sterben. Wenn wir am Ende wissen, daß wir jenen Frieden finden können, wenn wir sterben, dann werden wir das tun können, was das wirklich Schwierige ist.«
    »Und das wäre?«
    »Frieden mit dem Leben zu schließen.«
    Er sagte, er wolle den Hibiskus anschauen, der hinter ihm auf dem Fensterbrett stand. Ich nahm den Topf herunter und hielt ihn vor seinen Augen in die Höhe. Er lächelte.
    »Es ist natürlich zu sterben«, sagte er noch einmal. »Wir machen nur deshalb ein solches Theater darum, weil wir uns nicht als einen Teil der Natur betrachten. Wir denken, weil wir Menschen sind, stünden wir über der Natur.«
    Er lächelte in Richtung der Pflanze.
    »Aber so ist es nicht. Alles, was geboren wird, stirbt.« Er sah mich an.
    »Akzeptierst du das?«
    »Ja.«
    »Gut«, flüsterte er, »also, jetzt erzähl’ ich dir was über den Vorteil, den wir haben. Über den Punkt, in dem wir uns tatsächlich von all den wunderbaren Pflanzen und Tieren unterscheiden.
    Solange wir einander lieben können und uns an dieses Gefühl der Liebe erinnern können, können wir sterben, ohne jemals wirklich fortzugehen. All die Liebe, die du geschaffen hast, ist noch immer da. Alle Erinnerungen sind noch immer da. Du lebst weiter – in den Herzen aller Menschen, die du berührt hast und denen du Gutes getan hast, während du hier warst.«
    Seine Stimme war rauh, was gewöhnlich bedeutete, daß er eine Weile mit dem Reden aufhören mußte. Ich stellte die Pflanze auf das Fensterbrett zurück und schickte mich an, das Tonbandgerät auszuschalten. Morrie sagte noch einen Satz, bevor ich den Schalter drückte:
    »Der Tod beendet dein
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