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Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind
Autoren: Diane Chamberlain
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Sommer über machen konnte. Ich erinnere mich noch, wie froh ich über das schlechte Wetter in der ersten Woche war, da es so nicht allzu merkwürdig wirkte, weite Sweatshirts zu tragen. Ich hatte mich während der Schwangerschaft nicht einmal untersuchen lassen. Ich wusste nicht, im wievielten Monat ich war. Rückblickend würde ich sagen, im achten.”
    Jetzt sah sie Rory an, richtete ihren Blick jedoch schnell auf einen beliebigen Punkt am Boden, und er wünschte, er müsste sich das nicht anhören. Andererseits muss ich es nur
hören
, dachte er. Chloe musste es durch
leben.
    “Eines Nachts wachte ich auf und lag in den Wehen”, erzählte Chloe weiter. “Ich hatte schreckliche Angst. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich konnte ja nicht einfach zu Mom und Dad ins Schlafzimmer gehen und sagen: 'He, Mom, weißt du was? Ich bekomme gerade ein Baby.' Ich weiß, das klingt verrückt …”, sie sah Daria an, “… aber ich glaube, ich habe es nie wirklich realisiert. Nicht einmal, als ich diese höllischen Schmerzen hatte. Man hört viel von diesen jungen Mädchen, die Babys zur Welt bringen, ohne zu wissen, dass sie überhaupt schwanger waren. Und so verrückt es sich auch anhört – ich kann das verstehen. Ich hatte es irgendwie geschafft zu ignorieren, was mit mir geschah. Und … es ist nicht leicht zu erklären, aber selbst in jener Nacht fühlte ich mich losgelöst von allem. Als würde ich nur zusehen. Trotzdem war mir klar, dass ich aus dem Haus verschwinden musste. Also ging ich zum Strand.” Chloe senkte den Kopf. Sie atmete durch den Mund. Ihre Nase war rot, und als sie wieder aufsah, quollen ihre Augen vor Tränen über. Rory verspürte den Drang, zu ihr zu gehen, sie in die Arme zu schließen und ihr zu sagen, wie leid ihm tue, was sie hatte durchmachen müssen – und wie leid ihm
seine
Rolle bei dem ganzen tue. Stattdessen stand er auf, zog ein Taschentuch aus dem Spender, der auf einer Seite des Tischs stand, und reichte es ihr. Dann nahm er wieder zwischen Daria und Zack Platz. “Es war ein Albtraum”, sagte Chloe und verbarg dabei ihre Augen hinter dem Taschentuch.
    Daria durchquerte den Raum und setzte sich neben ihre Schwester. Sie legte eine Hand auf Chloes Rücken. “Du musst furchtbare Angst gehabt haben”, meinte sie.
    Andy starrte die beiden Frauen an, und Rory hatte das Gefühl, Chloes seelische Verfassung sei ihm gleichgültig und er wolle nur, dass Shelly durchkäme.
    “Ich dachte, ich müsste sterben”, erzählte Chloe. “Ich dachte, ich hätte es verdient zu sterben, und ich hatte keine Möglichkeit, irgendwen um Hilfe zu bitten. Ich lag nur weinend und verängstigt am Strand. Und dann … Das war das Sonderbarste: Das Baby kam einfach aus mir heraus. Ich wusste nicht mal, ob es lebte. Es war so dunkel da draußen, und das Baby hat nicht geschrien. Dann war ich sicher, dass es tot ist. Und, um ehrlich zu sein, ich war erleichtert. Wenn es tot war, müsste niemals jemand davon erfahren. Ich habe mich im Wasser gewaschen, ohne auch nur ein Mal nachzusehen, was da aus mir herausgekommen war – ja, so habe ich es empfunden: nicht als Baby, sondern als einen Fremdkörper, der zuvor in mir und jetzt, zu meiner Erleichterung, draußen war. Ich ging zurück ins Haus, legte mich ins Bett und schlief ein. Ich habe bis zum nächsten Morgen geschlafen, als du Shelly gefunden hast.” Sie sah Daria an. “Ich kann gar nicht beschreiben, wie ich mich gefühlt habe, als ich hörte, dass du das Baby am Strand gefunden hast und dass es lebte. Die Selbstverleugnung war mir noch so vertraut, dass ich mir sogar in jenem Augenblick erfolgreich einredete, dass es sich bei dem Findelkind vielleicht gar nicht um
mein
Baby handelte. Irgendein anderes Baby war irgendwie an den Strand geraten. Doch tief in meinem Herzen wusste ich, dass es – dass
sie
– von mir war. Ich war so erleichtert, dass sie lebte, und zugleich fühlte ich mich so schuldig, weil ich sie dort draußen sich selbst überlassen hatte. Und natürlich konnte ich auch jetzt weder Mom noch Dad noch sonst wem gestehen, dass es mein Kind war. Außer Sean. Ich habe mich an jenem Nachmittag mit ihm getroffen. Damals war er noch Pfarrer Macy für mich. Ein Priester und nicht der Mann, den ich liebte.”
    Rory fragte sich, wie das in Zacks Ohren klingen musste. Er wusste ja noch nichts von Chloes und Sean Macys Beziehung. Doch Zack saß nur still und zusammengekauert auf dem Sofa und atmete kaum merklich.
    “Ich weinte und
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