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Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind
Autoren: Diane Chamberlain
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trockenes Sweatshirt gegeben, doch seine Shorts waren immer noch feucht, und die Klimaanlage des Krankenhauses erzeugte eine Kälte, die ihm bis in die Knochen kroch.
    Daria versuchte, ihn zu wärmen, indem sie ihren Arm um ihn legte, doch es war zwecklos. Ihr war genauso kalt wie ihm, und ihr Körper zitterte neben seinem. Sie saßen auf einem Vinylsofa in dem kleinen Wartezimmer der Notaufnahme, schräg gegenüber dem Behandlungszimmer, wo die Ärzte gerade fieberhaft versuchten, Shellys Leben zu retten. Chloe, Andy und Zack waren bei ihnen. Rory vermutete, dass Grace, Ellen und einige der Nachbarn in dem größeren, öffentlichen Warteraum saßen, doch er war sich nicht sicher. Er war sich vieler Dinge nicht mehr sicher. Nicht einmal, wie lange sie schon dort saßen und auf Informationen über Shellys Zustand warteten.
    Seitdem man sie in den Raum geführt hatte, saßen sie schweigend da. Es gab so vieles, worüber sie reden mussten, doch keiner wusste, wo er anfangen sollte. Andy saß reglos und mit gesenktem Blick auf einem der harten Kunststoffstühle. Das einzige Lebenszeichen, das von ihm ausging, waren die hastigen Auf- und Abwärtsbewegungen seines Brustkorbs. Zack saß neben Rory, der ihm über den Rücken strich. Er hatte im Jeep auf der Fahrt zur Notaufnahme hemmungslos geweint. “Es ist meine Schuld”, hatte er wieder und wieder gesagt. “Ich hätte merken müssen, dass irgendwas ganz und gar nicht mit ihr stimmt, so seltsam, wie sie sich benommen hat.”
    Rory hatte ihn immer wieder beruhigt: Es sei nicht seine Schuld; niemand sei schuld. Doch bei sich dachte er, dass jeder von ihnen ein bisschen Schuld trug.
    Er ließ seinen Blick durch den kleinen Raum zu Chloe schweifen, die auf einer Doppelsitzbank saß – ebenfalls aus Vinyl. Sie hatte die Augen geschlossen, die dunklen Wimpern lagen lang und flach auf ihren Wangen. Vermutlich betete sie. Als sie unvermittelt aufsah, trafen sich ihre Blicke.
    “Ich muss mit euch reden.” Ihre Stimme durchschnitt die Stille wie ein Messer.
    Die anderen wandten ihr in Zeitlupe die Gesichter zu, als wären sie nicht sicher, ob sie tatsächlich gesprochen hatte.
    Chloe sah Daria an. “Es tut mir so leid, Daria. Es tut mir leid, dass ich es dir nie gesagt habe.”
    “Ich dachte, es wäre Ellen”, erklärte Daria. “All die Jahre dachte ich, sie wäre es. Ihr hätte ich so eine Tat zugetraut. Dir nicht.”
    Chloe nickte. “Es fällt mir selbst schwer, es zu glauben. Irgendetwas ist damals mit mir geschehen. Ich habe für Stunden den Verstand verloren. Das ist meine einzige Entschuldigung. Du weißt doch, wie ich damals war, Daria. Ich war ein anständiges Mädchen. Ich ging jeden Sonntag zur Kirche. Ich war gehorsam.” Sie lachte bitter. “Ich habe sogar jeden Abend einen Rosenkranz gebetet. Ich wollte nichts lieber als rein und heilig sein. Stattdessen war ich schon immer fasziniert von Sex. Ich wusste, dass vorehelicher Sex eine Sünde ist, aber ich war magisch davon angezogen. Ich war von Jungs angezogen.”
    “Ja, ich erinnere mich”, bestätigte Daria.
    “In der Highschool habe ich mit verschiedenen Jungs geschlafen. Danach bin ich immer nach Hause gegangen und habe zu Gott gebetet, er möge mir vergeben. Ich habe mir hoch und heilig geschworen, es nie wieder zu tun. Aber natürlich ist es wieder passiert. Mit siebzehn wurde ich dann schwanger.”
    Daria nahm den Arm von Rorys Schultern und beugte sich vor. “Wer war es?”, fragte sie. “Wer ist Shellys Vater?”
    Rory hielt die Luft an. Doch als Chloe noch nicht einmal in seine Richtung sah, wusste er, sie würde ihn nicht verraten.
    “Das spielt jetzt keine Rolle. Irgendein Junge.” Chloe knabberte an ihrer Oberlippe. “Ich war zu Tode erschrocken”, fuhr sie fort. “Auf keinen Fall konnte ich es Mom und Dad sagen, und eine Abtreibung kam für mich nicht infrage. Ich war weg von zu Hause, in meinem ersten Jahr am College, aber ich hatte kaum Freunde. Ich war jünger und unerfahrener als die meisten anderen, doch vor Mom und Dad tat ich, als hätte ich einen riesigen Freundeskreis, auf den ich während der Ferien unmöglich verzichten könnte. Offiziell bin ich deshalb nicht nach Hause gekommen. In Wirklichkeit hatte ich eine Heidenangst, Mom würde sonst von meiner Schwangerschaft erfahren.” Chloe kratzte sich an der Wange. “Ich weiß wirklich nicht, mit welchem Plan ich in jenem Sommer ins Sea Shanty fuhr. Ich trug übergroße Kleidung, aber ich wusste, dass ich das nicht den ganzen
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