Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind
Autoren: Diane Chamberlain
Vom Netzwerk:
sie sich das einfach nur so vorgestellt hat? Denn danach meinte sie, die Sache mit der Pilotin würde ihr leidtun. Ich hatte keine Ahnung, von welcher Pilotin sie spricht. Ich habe ihr nicht richtig zugehört, weil sie …”
    “Sie hat uns belauscht.” Daria presste sich die Faust auf den Mund und sah Rory ängstlich an. “Unser Gespräch auf der Veranda. Ich dachte, sie würde schlafen.”
    Rory dachte an die Unterhaltung zurück und stellte sich vor, wie sich ihre Worte in Shellys sensiblen Ohren angehört haben mussten.
    “Ich bin sicher, dass sie zu euch schwimmen wollte, denn sie hat uns Tschüs gesagt”, meinte Zack. “Also, so richtig Tschüs, als wolle sie für heute Abend schon gehen.”
    “Oder für immer.” Rory ergriff den Arm seines Sohnes. “Komm mit”, sagte er und lief auf das Meer zu. “Zeig mir, wo sie reingegangen ist.”
    Als er sich vom Lagerfeuer entfernte, nahm er das hinter ihm losbrechende Geschrei nur am Rande wahr. Er hörte, wie Daria jemanden aufforderte, 911 zu wählen. Jemand anderes sagte, er sähe im Sea Shanty nach, ob Shelly vielleicht dort sei. Und als Lichtpunkte von Taschenlampen vor ihm auf dem Sand tanzten, wusste Rory, dass ihm mehrere Leute folgten.
    “Ich glaube, es war hier, Dad.” Zack zeigte auf den schwarzen Ozean. “Ich meine, sie ist vom Feuer geradeaus ins Wasser gegangen.”
    Rory zog sein T-Shirt aus und rannte ins Meer. “Gebt mir Licht!”, rief er über die Schulter, und sofort erhellten die Taschenlampen das ihn umgebende Wasser. Als er durch die Wellenbrecher schwamm und mit den Augen fieberhaft die Wasseroberfläche absuchte, wurde ihm die Aussichtslosigkeit seines Tuns bewusst. Er hatte keine Ahnung, wie weit Shelly hinausgeschwommen war oder an welcher Stelle sie sich hatte untergehen lassen – denn das war sicherlich ihr Plan gewesen. Sean Macy hatte gesagt, es sei in Ordnung, sich umzubringen, solange man dadurch jemand anderen retten wollte. Shelly musste gedacht haben, sie würde damit Daria retten. Sie ahnte ja nicht, dass ihr Tod den genau gegenteiligen Effekt hätte und Daria, die ihre kleine Schwester über alles liebte, ins Unglück stürzen würde.
    Rory hatte im Meer keine Orientierung. Der Himmel, das Wasser, die Luft – alles um ihn herum war schwarz, und er stellte sich vor, wie einfach es sein müsste, hier draußen zu sterben. Sich einfach unter die Wasseroberfläche in eine noch tiefere Schwärze gleiten zu lassen. Er hörte Geplätscher, als andere Leute ins Wasser gingen. Einer der Lichtstrahle war auf Daria gerichtet, die sich ihren Weg durch die Wellen bahnte.
    “Daria!”, rief er. “Wie ist sie normalerweise geschwommen? Geradeaus oder parallel zum Strand oder …”
    “Je nachdem!”, schrie Daria zurück. “Diesmal … Diesmal weit nach draußen, fürchte ich.”
    Sie kannte Shellys Absicht ebenso gut wie er. Rory orientierte sich am Lagerfeuer der Teenager, drehte sich dann um und schwamm weiter aufs offene Meer hinaus. Schon nach wenigen Zügen spürte er etwas Weiches gegen sein Bein schwappen. Seegras, dachte er. Beinahe hätte er nicht nach unten gegriffen; dann tat er es doch, und seine Finger berührten das seidige, sich wellenförmig bewegende Wirrwarr von Shellys Haar. Er tauchte hinab, packte sie an den Armen und zog sie über die Wasseroberfläche. Sie war schwer wie Blei, schwer und still, und er wusste, dass sie nicht mehr atmete.
    “Ich hab sie!”, schrie er. Die Lichtstrahlen stachen um ihn herum ins Wasser, bis sie ihn endlich erwischten. Er schwamm und schwamm und hielt Shellys Körper immer noch im Arm.
    “Lebt sie?”, rief jemand vom Strand aus. Es klang nach Grace.
    “Ist sie okay?”, schrie ein anderer.
    Als er sich dem Ufer näherte, war er völlig außer Atem, und Daria und Andy nahmen ihm Shelly ab, zogen sie durch die Wellenbrecher und legten sie in den Sand. Im Licht der Taschenlampen sah ihre Haut bereits wächsern und bläulich aus, und Rory spürte einen Schrei in seiner Kehle hochsteigen. Er schaffte es, ihn hinunterzuschlucken, und fiel neben ihr auf die Knie.
    “Ich mache die Herzmassage, du beatmest sie”, wies Daria ihn an.
    Noch bevor sie den Satz beendet hatte, lag sein Mund auf Shellys, und seine Finger hielten fest ihre Nase zu. Als er Luft in ihre Lungen blies, heulten irgendwo in der Ferne die Sirenen des Rettungswagens auf. Wie von Sinnen kämpfte Rory um das Leben seiner Tochter.

51. KAPITEL
    R ory fror. Irgendwer – er hatte keine Ahnung, wer – hatte ihm ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher