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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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    D ER D OKTOR KOMMT SPÄTABENDS an einem Freitag im Juli. Das letzte Stück von der Bahnstation im offenen Wagen hat kein Ende genommen, es ist noch immer sehr heiß, er ist erschöpft, aber jetzt ist er da. Elli und die Kinder warten in der Empfangshalle auf ihn. Er hat kaum Zeit, sein Gepäck abzustellen, da stürmen Felix und Gerti auf ihn zu, reden auf ihn ein. Seit dem frühen Morgen waren sie am Meer, wollen am liebsten gleich wieder hin und ihm zeigen, was sie gebaut haben, eine riesige Sandburg, der Strand ist voll von ihnen. Nun lasst ihn doch erst mal, mahnt Elli, die die verschlafene Hanna auf dem Arm hat, aber sie reden immer weiter von ihrem Tag. Elli fragt: Wie war die Reise? Willst du etwas essen? Der Doktor überlegt, ob er etwas essen will, denn Appetit hat er keinen. Trotzdem geht er kurz nach oben in die Ferienwohnung, die Kinder zeigen ihm, wo sie schlafen, sie sind elf und zwölf und suchen tausend Ausreden, warum sie noch nicht ins Bett können. Das Fräulein hat einen Teller mit Nüssen und Früchten vorbereitet, eine Karaffe Wasser steht bereit, er trinkt, sagt der Schwester, wie dankbar er ihr ist, denn in den nächsten drei Wochen wird er hier essen, sie werden viel Zeit zusammen verbringen, wobei sich zeigen muss, wie er das auf die Dauer findet.
    Der Doktor erhofft sich nicht viel von diesem Aufenthalt. Er hat schlimme Monate hinter sich, zu Hause bei den Eltern wollte er nicht länger bleiben, da kam die Einladung an die Ostsee gerade recht. Das Quartier hat die Schwester aus der Zeitung, eine Annonce, die vorzügliche Betten und solide Preise versprach, dazu Balkone, Veranden, Loggien, direkt am Hochwald mit herrlichem Blick auf die See.
    Sein Zimmer liegt am anderen Ende des Flurs. Es ist nicht allzu groß, aber es gibt einen Schreibtisch, die Matratze ist hart, außerdem hat es zur Waldseite hin einen schmalen Balkon, der Ruhe verheißt, wenngleich von einem nahe gelegenen Gebäude Kinderstimmen zu hören sind. Er packt seine Sachen aus, ein paar Anzüge, Wäsche, Lektüre, das Schreibpapier. Er könnte Max berichten, wie die Gespräche im neuen Verlag verlaufen sind, aber das kann er dieser Tage noch erledigen. Es war seltsam, nach all den Jahren in Berlin zu sein, und vierundzwanzig Stunden später ist er hier in Müritz, in einem Haus, das sich Glückauf nennt. Elli hat bereits einen Scherz darüber gemacht, sie hofft, dass der Doktor in der Seeluft ein paar Kilo zunimmt, obwohl sie beide wissen, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. Alles wiederholt sich, denkt er, die Sommer seit Jahren in irgendwelchen Hotels oder Sanatorien, und dann die langen Winter in der Stadt, wo er manchmal für Wochen das Bett nicht verlässt. Er ist froh, allein zu sein, setzt sich ein wenig auf den Balkon, wo noch immer die Stimmen sind, dann geht er zu Bett und findet ohne Mühe in den Schlaf.
    Als er am nächsten Morgen erwacht, hat er mehr als acht Stunden geschlafen. Er weiß sofort, wo er ist, er ist am Meer in diesem Zimmer, weit weg von allem, was er bis zum Überdruss kennt. Die Stimmen der Kinder, die ihn gestern in den Schlaf begleitet haben, sind auch wieder da, sie singen ein Lied, auf Hebräisch, wie nicht schwer zu erkennen ist. Sie sind aus dem Osten, denkt er, es gibtFerienheime für diese Kinder, vor zwei Tagen in Berlin hat Puah, seine Hebräischlehrerin, erwähnt, dass es auch eins in Müritz gibt, und nun ist es in unmittelbarer Nähe. Er tritt auf den Balkon und sieht zu ihnen herüber. Mit den Liedern sind sie fertig, sie sitzen vor dem Haus an einem langen Tisch und frühstücken, sehr laut und fröhlich. Vor einem Jahr in Planá hat er sich an solchen Geräuschen sehr gestört, aber jetzt freut er sich beinahe über das Geplapper. Er erkundigt sich bei seiner Schwester, ob sie etwas von ihnen weiß, aber Elli weiß nichts und scheint sich zu wundern, dass er plötzlich so aufgeregt ist, fragt nach seiner Nacht, ob er mit dem Zimmer zufrieden ist, ja, er ist zufrieden, er freut sich auf den Strand.
    Der Weg ist weiter als gedacht, man geht fast eine Viertelstunde. Gerti und Felix tragen die Taschen mit den Badesachen und dem Proviant, rennen ein Stückchen vor und wieder zurück zu ihm, der nur langsam nachfolgt. Das Meer liegt silbrig glatt in der Sonne, überall sieht man Kinder in bunten Badekleidern, die im flachen Wasser plantschen oder mit Bällen spielen. Elli hat zum Glück einen eigenen Strandkorb für ihn gemietet, rechts von der Landungsbrücke, sodass er
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