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Solar

Solar

Titel: Solar
Autoren: Ian McEwan
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mitgenommen haben, als sie mal bei mir war, und damit hat sie ihn erschlagen, als er bei ihr auf dem Sofa schlief.«
    »Moment mal«, sagte Beard. »Warum um Himmels willen hätte Patrice denn Tom Aldous umbringen sollen?«
    »Ich verstehe, dass Sie durcheinander sind, Mr Beard. Ich weiß, Sie sind geschieden und alles, aber einmal haben Sie diese Frau geliebt, und da ist es nicht schön zu erfahren, dass sie eine Mörderin ist. Aber sie hat ihn gehasst. Sie wurde ihn nicht los. Sie hat ihn aufgefordert, sie in Ruhe zu lassen, aber er wollte einfach nicht gehen. Ich habe getan, was ich konnte, aber er war nicht kleinzukriegen...«
    Beard hatte so gut wie vergessen, dass er die Wahrheit kannte und er selbst für Tarpins Unglück verantwortlich war. Er wusste kaum, welchen Einwand er zuerst erheben sollte. Er sagte: »Hat sie Ihnen wirklich gesagt, sie hasst ihn? Sie will ihn loswerden?«
    »Sehr oft sogar.«
    »Aber sie hat aller Welt erzählt, sie liebt ihn.«
    Tarpin richtete sich auf und erklärte mit einigem Stolz:
    »Das war später, um mir ein Tatmotiv zu liefern. Eifersucht! Ich war bereit, alles für sie zu tun.«
    »Um Gottes willen, Mann, warum haben Sie sich dann nicht schuldig bekannt, um ein milderes Urteil zu erwirken?«
    »So ein kleines Arsch von einem Anwalt hat behauptet, er bekäme mich frei, und ich habe ihm geglaubt.«
    »Sie haben das also zusammen in allen Einzelheiten geplant?«
    »Nachdem Aldous tot war, konnte ich nicht mehr zu ihr. Und dann wurde ich verhaftet. Wir konnten uns nicht mehr besprechen, mussten Schritt für Schritt improvisieren. Aber wir wussten genau, was wir taten.«
    Die Kapelle hatte sich mit den Beatles verausgabt und machte jetzt erst einmal Pause. Blechbläser gossen Kondenswasser aus ihren Instrumenten in den Wüstensand. Der Kapellmeister ging mit einer Zigarre im Mund von dannen.
    Beard sagte: »Aber wenn Sie selbst zu Aldous gegangen wären, hätten Sie ihn doch bestimmt einschüchtern können.«
    Tarpin lachte bitter. »Hab ich doch versucht. Gleich als Erstes. Bin zu ihm nach Hampstead raus, mit einem Wagenheber bewaffnet, um ihm einen Schrecken einzujagen. Den hat er mir aus der Hand geschlagen, hat mich quer durch seinen Garten gejagt, mir den Rücken verrenkt, die Kniescheibe gebrochen, meinen Kopf in den Teich gedrückt, mir den Arm ausgekugelt. Und das hier. Sehen Sie.«
    Er zeigte auf seine Zahnlücke.
    Beard empfand unwillkürlich grimmigen Stolz. Was für ein Physiker! Er sagte: »Das war wohl die Rache dafür, dass Sie Patrice ein Auge blau geschlagen haben.«
    »Dafür habe ich mich entschuldigt, Mr Beard«, sagte Tarpin beleidigt. »Mehr als einmal, falls Sie's wissen wollen. Und schließlich hat Patrice meine Entschuldigung angenommen.«
    »Sie sind also für meine Frau ins Gefängnis gegangen. Und sie hat Sie besucht und Ihnen rührende Dankesbriefe geschrieben?«
    »Das hätte ja wohl keinen guten Eindruck gemacht, den Mörder ihres Geliebten zu besuchen. Nach einem Jahr habe ich meinerseits angefangen, ihr zu schreiben. Jeden Tag. Aber nie was von ihr gehört. Die ganzen acht Jahre nicht. Dass sie wieder geheiratet hatte, habe ich erst nach meiner Entlassung erfahren.«
    Der arme betrogene Tropf starrte in die Ferne, in die Berge jenseits von Lordsburg. Bei seinem Anblick war Beard doppelt froh, dass er selbst sich nie richtig verliebt hatte. Wenn Liebe einem Mann derart den Verstand rauben konnte. Bei Patrice war es fast um ihn geschehen gewesen, und entsprechend idiotisch hatte er sich aufgeführt. Zu gern hätte er Tarpin nach der Mordwaffe befragt, dem Hammer mit dem schmalen Kopf. Wusste Tarpin wirklich nicht mehr, dass er seine Werkzeugtasche in Belsize Park stehengelassen hatte? Was für ein Esel, und wie praktisch.
    Tarpin sagte: »Ich muss immerzu an sie denken, und Sie sind der Einzige, mit dem ich reden kann. Wir haben beide dieselbe Frau geliebt, Mr Beard. Man könnte sagen, uns eint ein gemeinsames Schicksal. Patrice lässt mich nicht an sich ran, will nicht mal fünf Minuten am Telefon mit mir sprechen. Aber ich liebe sie immer noch.«
    Er wiederholte dies mit so großem Nachdruck, dass zwei Arbeiter, die über den Platz gingen, zu ihnen hinaufblickten.
    »Ich müsste verbittert sein, ich müsste ihr sehr böse sein, dass sie mich fallengelassen hat. Ich müsste ihr den Hals umdrehen, aber ich liebe sie, und es tut mir gut, das jemand sagen zu können, der sie kennt. Ich liebe sie, und wenn das je hätte vorbei sein können, dann schon
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