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Solar

Solar

Titel: Solar
Autoren: Ian McEwan
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mir glauben.«
    »Sie Schwein! Sie feiges Schwein!«
    Beard kletterte, so schnell er konnte, die Stufen hinunter und ging mit großen Schritten davon. Noch als er den Platz überquert hatte und sich wieder den Grillständen näherte, hörte er Tarpins leiser werdende Rufe: »Drecksau! Feigling! Betrüger! Ich krieg dich noch!« Aufrechte Bürger wandten sich nach Tarpin um, und auch Beard wurde mit missbilligenden Blicken bedacht. Einige Minuten später fand er sich, nachdem er einmal falsch abgebogen war, in der Prachtallee grüner Klohäuschen wieder und nutzte die Gelegenheit, in einem davon erst einmal zur Ruhe zu kommen. Als er nach einer Weile wieder ins Freie trat und sich umsah, stand Tarpin am Highway und versuchte per Anhalter wegzukommen.
    Darlene wartete schon auf ihn, aber Beard war müde und erhitzt und hatte über manches nachzudenken, also ließ er sich Zeit. Tarpin, nicht Aldous, war der Lover, den Patrice nicht hatte loswerden können, sie hatte Tarpin das alles vorgegaukelt, um nicht noch ein blaues Auge zu riskieren. Doch wer dem Ganzen einen Riegel vorgeschoben hatte, war Aldous mit seiner Abreibung. Selbst wenn Beard Aldous mit bloßen Händen erwürgt hätte, hätte Tarpin die Schuld auf sich genommen, so sehr war er in seinen Wahn verstrickt. Beards oft chaotische Vergangenheit glich einem reifen, stinkenden Käse, der klebrig über seine Gegenwart troff, doch diese Geschichte hier war zu etwas Festerem geronnen, eher Parmesan als Epoisses. Das Bild heiterte ihn auf - es erinnerte ihn daran, dass er immer noch Hunger hatte -, doch gerade als er sich dem Barbecuestand nähern wollte, vibrierte der Palmtop in seiner Tasche. Melissa, informierte ihn der Bildschirm. Wohl um ihm gute Nacht zu sagen. Doch als er sich das Ding ans Ohr hielt, vernahm er das Geräusch eines Automotors und, leise im Hintergrund, Catriona, die vor sich hin sang.
    »Darling«, kam er ihr zuvor. »Ich habe schon versucht, dich zu erreichen.«
    »Da waren wir im Flugzeug.«
    Mit dem Dirigenten durchgebrannt und das Kind mitgenommen, sein Kind, schoss es ihm durch den Kopf. »Wo bist du?«, fragte er gereizt und machte sich auf eine Lüge gefasst.
    »Wir fahren gerade aus El Paso los.«
    Das musste er erst einmal verarbeiten. »Wie ist das möglich? Ich verstehe nicht.«
    »Wir kommen dich besuchen. Wir haben Ferien, Lenochka kümmert sich um die Läden, und wie du weißt, haben Catriona und ich etwas mit dir zu besprechen.«
    »Was denn?«, fragte Beard, von vagen Schuldgefühlen geplagt. Was hatte er jetzt schon wieder angestellt?
    Sie sagte: »Eine gewisse Darlene hat angerufen und mir erzählt, ihr zwei würdet heiraten. Doch da würden deine Tochter und ich gern ein Wörtchen mitreden.«
    Das war es also. In der Erinnerung war die Sache so verschwommen wie ein halbvergessener Traum, aber er wusste noch, wann und wo es passiert war: vor einigen Wochen, in der Koje des Wohnwagens. Darlene hatte seither kein Wort mehr darüber verloren.
    Er sagte: »Melissa, glaub mir, da ist nichts dran.« Als ob er sie damit bewegen könnte, nach London zurückzukehren und ihm seinen freien Abend zu lassen.
    Sie sagte: »Moment, ich muss die Ausfahrt hier nehmen ... Noch eins solltest du wissen, bevor wir uns treffen. Terry.«
    »Ja.«
    »Den gibt es nicht. Den habe ich erfunden. Um mein Gesicht zu wahren, und das war dumm. Das hat alles nur noch schlimmer gemacht.«
    »Verstehe«, sagte Beard.
    Er verstand es wirklich. Sie hatte den erfundenen Terry aus der Welt geschafft und erwartete jetzt von ihm, dass er mit Darlene dasselbe machte. Im Hintergrund hörte er Catriona singen oder rufen.
    Melissa sagte: »Wir sind bald bei dir. Du gehörst zu uns.« Und legte auf.
    Er blieb, wo er war, an einen der Pfosten mit den Lautsprechern gelehnt. Gott sei Dank war dieser hier still. Das Gelände leerte sich, die Sonne ging allmählich unter, die Arbeiter machten Feierabend und strebten dem Parkplatz zu. Nach seiner Erinnerung hatten er und Darlene an jenem Nachmittag getrunken und dann miteinander geschlafen; es war heiß, die Klimaanlage lief auf vollen Touren und schepperte so laut, als rüttle ein Irrer am Gitter seiner Zelle. Sekunden bevor er kam, legte Darlene eine Hand um seine Eier und sagte: »Heirate mich«, und er hatte ja gesagt, oder eher gebrüllt. Offenbar hatte er sich angesichts so wilder Unvernunft und Hingabe hinreißen lassen. Wie hätte es ihm damit ernst sein können, wo er schon mit Melissa nicht verheiratet war? Kein
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