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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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Prolog
    Als ich am Morgen des 11. September 2001 die Wache der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Oldenburg passierte, hätte noch niemand ahnen können, wie sich die Welt an diesem Tag ändern würde. Es war ein ganz normaler, eher ruhiger Dienstag. Unser Bataillon, das Fallschirmjägerbataillon 314 innerhalb der Luftlandebrigade 31, wo knapp 3000 Fallschirmjäger ihren Dienst taten, sollte bald aufgelöst werden. Der Dienstbetrieb war bereits auf ein Minimum reduziert. Viele meiner Kameraden hatten schon ihre Versetzung erhalten in die Schwesterbataillone in Varel oder Doberlug-Kirchhain.
    Ich ging in den Besprechungsraum, einen gemütlich eingerichteten Gemeinschaftsraum mit den beiden wichtigsten Dingen soldatischen Lebens in einer Kaserne: einer Kaffeemaschine und einem Farbfernseher. Ich setzte mich zu ein paar anderen an den Tisch, um die anstehenden Aufträge für den Tag zu besprechen. Während sich der Raum leerte, weil sich die meisten schon an die Arbeit gemacht hatten, saß ich noch mit ein paar Leuten zusammen. Wie jeden Tag flimmerten dabei irgendwelche Sendungen über die Mattscheibe, aber niemand beachtete sie. Das änderte sich mit einem Schlag, als plötzlich ein Unglück in New York gemeldet wurde: Ein Flugzeug war in einen der Twin Towers des World Trade Centers gestürzt. Wir schauten nicht wirklich interessiert zu.
    Die Bilder des rauchenden Wolkenkratzers liefen in Echtzeit über den Fernseher, aber wir hatten keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte. Doch plötzlich änderten sich die Bilder, und auch der Ton. Es kamen Schreie aus dem Fernseher, und wir sahen fassungslos, wie die zweite Maschine in dem anderen Turm einschlug. In dem sonst so warmen und geselligen Raum mit der Holztäfelung herrschte plötzlich eisige Stille. Immer mehr meiner Kameraden kamen herbeigeeilt, die Neuigkeiten sprachen sich herum wie ein Lauffeuer. Niemand wagte ein Wort zu sagen. Man konnte hören, wie einige Soldaten atmeten, sichtlich bewegt von dem, was sie sehen mussten: Menschen, die aus großer Höhe verzweifelt in den Tod sprangen. Und jeder konnte sich vorstellen, was im Inneren der Twin Towers ablief, wo Menschen auf Hilfe hofften und schließlich die beiden Türme in sich zusammenbrachen. Alles, was außerhalb des Fernsehers geschah, war in diesem Augenblick völlig unbedeutend geworden, es interessierte niemanden von uns. Irgendwo in einem der Büros klingelte ein Telefon, aber keiner nahm ab. Es war, als gäbe es kein Draußen mehr. Es war, als wäre ein Schlag durch den Standort gegangen.
    Das Chaos und die Hektik, die wir im Fernsehen sahen, hatten uns erfasst. Aber auf eine seltsame Art sind die meisten von uns – zumindest äußerlich – sehr ruhig geblieben. Viele dachten wohl über die Tragweite dieses terroristischen Anschlags nach. Uns war klar, dass die Amerikaner sich so etwas nicht bieten lassen würden. Sie würden etwas unternehmen, ja unternehmen müssen, und zwar schnellstmöglich. Gegen wen, das stand damals in den Sternen. Aber wir wussten, dass es eine militärische Antwort geben würde und dass das möglicherweise auch für uns Folgen hätte. »Jetzt gibt’s Krieg«, kommentierten schließlich einige jüngere Soldaten die Szenen auf dem Bildschirm und durchbrachen die bedrohliche Stille. Die älteren, etwas abgeklärten waren sehr still. Sie wussten, dass die Zukunft nicht angenehm werden würde. Als Angehörigen der Luftlandebrigade 31, eines von drei Großverbänden der »Division Spezielle Operationen«, war uns klar, dass wir die deutsche Speerspitze wären, zu welcher Maßnahme auch immer es kommen würde.
    Als auf dem Fernseher die ersten Wiederholungsschleifen der zusammenstürzenden Türme zu sehen waren, gingen viele wortlos nach draußen, um mit ihren Familien zu telefonieren. Einige riefen auch im Stab an. Dort war sehr schnell eine Nachrichtensperre ausgegeben worden. Kein Soldat sollte sich gegenüber der Presse äußern; die Bundeswehroberen wollten sich zu den Folgen für ihre Armee bedeckt halten.
    Auch mir war sofort klar gewesen, dass deutsche Soldaten irgendwo hingehen würden, um den Amerikanern zu helfen. Was aber würde das konkret für mich bedeuten? In mir tobte ein Gedanken- und Gefühlsgewitter. Einerseits spürte ich den Wunsch, mich zu engagieren und meine Erfahrungen und Fähigkeiten einzubringen. Konnte ich schon nicht den im World Trade Center Gefangenen und Verschütteten helfen, so wollte ich doch andere vor einem ähnlichen Schicksal bewahren,
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