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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller
Autoren: Aufbau
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    Hexham, England, Dezember 1920
    In der Nacht war Schnee gefallen – silberweißes Sinnbild einer anderen Welt, einer Reinheit, wie sie in den Tiefen der Menschheit gescheitert und verlorengegangen war. Über Causey Hill lag eine Nebelbank wie ein gefrorenes Leichentuch. Das schräge, schwache Licht des Advents versank in der kalten Dämmerung, verlosch in Erwartung des Mysteriums, das kommen sollte. In Hütten und Palästen waren die Lichter der Weihnacht mit Frost geschmückt und von Ruß geschwärzt. Auf Dorfplätzen, über die sich Dunkelheit senkte, bildete sich Eis auf den neuerrichteten Gedenksteinen für die zehn Millionen Toten.
    Nacht und das Warten auf sie, eine große, sich ungehindert ausbreitende Finsternis, die den ganzen Winter lang um die Wohnstätten heulen und raunen sollte, der schleichende Angriff des Mysteriums auf das verhärtete, verstummte Herz einer nicht erlösten und nicht verzeihenden Welt. Gott und die Erwartung der Ankunft Gottes. Der Herr über Licht und Schatten würde kommen wie immer, geboren in der Kälte des ausklingenden Jahres. Der Friedefürst würde herabsteigen in eine Welt, gerade erst erwacht aus dem Alptraum eines Gemetzels, in dem ganze Armeen von Unschuldigen den Tod gefunden hatten, eines Aderlasses, der selbst Herodes in den Schatten gestellt hätte. In eine Welt, gnadenloser als je zuvor.
    In der anheimelnden, von Kerzen erleuchteten Kirche St. Mary’s strebte die Abendmesse ihrem Höhepunkt zu. Wegen des schlechten Wetters hatte man entschieden, für jene,die die Kirche am Morgen nicht hatten erreichen können, an diesem Tag eine zweite Messe abzuhalten. Im Halbdunkel entfaltete die uralte Liturgie ihr Mysterium. Das violette Gewand des Priesters am Altar verstärkte das Halbdunkel, seine Stimme steigerte noch die Stille. Den Kelch in der linken Hand, schlug er mit der rechten das Kreuz.
    Benedixit, deditque discipulis suis, dicens: Accipite, et bibite ex eo omnes.
    Er erhob den Kelch – Wein zum Blut Christi verwandelt.
    Hic est enim Calix Sanguinis mei – Das ist der Kelch meines Blutes …
    Christopher Wylam saß in der letzten Reihe der Kirchgänger, erhob sich und setzte sich mit ihnen, sprach gemeinsam mit ihnen die Antworten, betete den Rosenkranz und sog den Weihrauch ein. Sein Sohn William saß neben ihm, ahmte mit seinen kleinen Fingern die Bewegungen des Vaters nach und sprach die Antworten mit, wenn er sie wusste. William war zehn, wirkte aber älter, als ahnte er, was das Leben noch für ihn bereithalten sollte.
    Der Vater war dem Sohn ein Rätsel. Bis vor vierzehn Monaten war Christopher für ihn kaum mehr als ein Name gewesen. William erinnerte sich an die Fotografien im Zimmer seiner Mutter in Carfax, dem Haus am Rande von Hexham, wo sie bei seiner Tante Harriet und deren Kindern Roger, Charles und Annabel wohnten. Den Mann auf den verblichenen Aufnahmen konnte er nie mit der Schattengestalt zusammenbringen, die seiner Mutter und ihm im Alter von drei Jahren traurig nachgewinkt hatte, als ihr Zug langsam aus dem Bahnhof von Delhi rollte.
    Die Erinnerung an diese Stadt war nahezu verblasst. Nur manchmal tauchten Bilder auf wie aus einem Traum: eine alte Ayah – Kinderfrau –, die sich über ihn beugte und ihn leise in den Schlaf sang, ein Spielzeugelefant auf Rädern, dener an einer Schnur hinter sich her zog, oder das wallende weiße Moskitonetz über seinem Kinderbett in der Hitze der Nacht.
    Christopher war nur in Williams Welt zurückgekehrt, um sie zu zerstören: ein Fremder in merkwürdiger Kleidung, der ihn für sich einforderte. Der Junge erinnerte sich gut an die hektische Betriebsamkeit, die seine Mutter entfaltete, als die Rückkehr des Vaters näher kam: wie sich ihre Wangen mit roten Flecken bedeckten, wie ihre eingefallenen Augen glänzten, wenn sie an seine bevorstehende Ankunft dachte. William hatte sich einen Soldaten vorgestellt, der endlich aus dem Krieg heimkehrte – in Uniform und mit Medaillen an der Brust, die in der Sonne blinkten. »Bye, Baby Bunting, Papa aus dem Haus zur Jagd ging«, hatte seine Mutter abends an seinem Bett gesungen, als er klein war, um dem vaterlosen Jungen die Angst vor der Dunkelheit zu vertreiben. »Bringt ein Hasenfellchen heim, hüllt Baby Bunting darin ein.« Aber dann hatte ihn ein stiller Mann in Zivilkleidung am Tor begrüßt, der keine Heldengeschichten erzählen konnte und keine Medaillen mitbrachte, die sein Sohn hätte putzen können.
    William war tief enttäuscht. Und von seinen
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