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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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indem ich etwas Sinnvolles gegen den Terrorismus unternahm und mich dabei mit allem, was ich an Kenntnissen zu bieten hatte, einbrachte. Auf der anderen Seite hatte ich auch Angst, Angst vor der Ungewissheit, was die Zukunft bringen und wohin der nun drohende Konflikt führen würde. Ich war hin und her gerissen zwischen Verantwortung meiner Familie gegenüber und der Verantwortung für die »Firma« inklusive untergebener Soldaten und Kameraden, die ich unmöglich im Stich lassen konnte, niemals im Stich lassen würde. Kurz, all die Gefühle und Gedanken, die wir Soldaten der Einfachheit halber in die Schublade stecken, die wir als »Job« bezeichnen. Welche Ausmaße die Antwort auf den Terror annehmen sollte und was letztendlich daraus geworden ist, beschreibt nun dieses Buch.
    Da die beschriebenen Ereignisse schon eine Weile zurückliegen, mögen die Leser und Leserinnen es mir nachsehen, dass die im Buch geschilderten Dialoge unter Umständen nicht im exakten Wortlaut wiedergegeben werden. Da ich während meiner Zeit in Afghanistan Tagebuch geführt habe, sind die Gesprächsinhalte alle verbürgt. Zum Schutz der Betroffenen wurden alle vorkommenden Personen, die nicht Personen des öffentlichen Lebens sind, anonymisiert.
    Ich widme dieses Buch allen, die als Soldaten in solchen oder ähnlichen Einsätzen täglich ihr Leben riskierten und riskieren, sowie deren Angehörigen. Insbesondere den Lebenspartnern, die in den Monaten der Einsätze »ihre« Soldaten nicht im Stich lassen. Mein besonderer Dank gilt meiner »Familie«, den Niederländischen Korps Commando Troepen und dort der Kompanie 104 des zweiten und dritten Einsatzkontingents, denen ich vier Monate angehörte und mit denen ich zahlreiche Operationen durchführte. Gleichzeitig soll das Buch ein Gedenken für die Soldaten aller Nationen sein, die in solchen Einsätzen ihr Leben ließen.

Abreise nach Kabul
und erste Tage im Camp
    Es zeichnete sich sehr schnell ab, dass es auf Afghanistan hinauslaufen würde. Weil die Amerikaner den Drahtzieher der Anschläge, Osama bin Laden, dort vermuteten, marschierten sie im Oktober 2001 in das Land am Hindukusch ein und stürzten die Taliban. Derweil setzte in unserem Nachbarbataillon in Varel bereits hektische Betriebsamkeit ein. Ausgewählte Soldaten erhielten eine erste Vorausbildung, damit sie als Vorauskräfte so schnell wie möglich in das Einsatzland verlegt werden konnten. Der Rest der Truppe verfolgte interessiert diese Vorbereitungen. Würden wir ebenfalls betroffen sein? Wäre es eine gute Idee, sich freiwillig zu melden?
    Meine Überlegungen wurden immer wieder von neuen Entwicklungen überschattet. Vom 27. November bis 5. Dezember 2001 tagte in Bonn die »Petersberger Konferenz«, auf der die größten ethnischen Gruppen Afghanistans eine »Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen« beschlossen. Auch die Voraussetzungen für einen Einsatz internationaler Truppen wurden zügig geschaffen. Schon am 20. Dezember 2001 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1386. Diese sah vor, für einen Zeitraum von sechs Monaten eine sogenannte Sicherheitsbeistandstruppe in Kabul zu stationieren, also eine Friedenstruppe zur Aufrechterhaltung der Sicherheit. Wir waren beeindruckt, wie schnell reagiert wurde. Nur zwei Tage nach der Verabschiedung der UN-Resolution folgte der deutsche Bundestag. Am 22. Dezember erteilte er das Mandat für die Beteiligung am ISAF-Einsatz unter Führung der NATO. ISAF – das steht für »International Security Assistance Force«, ist also eine Schutztruppe im Friedenseinsatz, aber nicht zu verwechseln mit den Blauhelmen. Hinter vorgehaltener Hand wurde spekuliert, dass die Bundesregierung die Beteiligung an einem Afghanistan-Einsatz wohl als das geringere Übel ansah, wusste man doch nicht, was die Amerikaner sonst noch planten. Im Nachhinein kann man sagen, dass das eine weise Entscheidung war – denn sonst wäre die Bundeswehr im Irak direkt in ihren Untergang marschiert.
    Am 31. Dezember verlegten die Vorauskräfte in Richtung Hindukusch. Wenig später flog das niederländisch-deutsche Vorauskommando ebenfalls ab. Es wurde live auf allen Nachrichtensendern übertragen. Ich saß vor dem Fernseher und sah meine Kameraden Interviews geben. Die meisten von ihnen kannte ich sehr gut. Nun beschloss ich, selbst aktiv zu werden. Noch am selben Tag setzte ich mich vor meinen Computer und
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