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Pechvogel: Roman (German Edition)

Pechvogel: Roman (German Edition)

Titel: Pechvogel: Roman (German Edition)
Autoren: S. G. Browne
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Kapitel 1
    S oweit ich weiß, haben nackte Frauen normalerweise keine Messer dabei.
    Auf der anderen Seite: Wenn man bedenkt, was heute alles seit dem Aufwachen passiert ist, hätte es mich auch nicht überrascht, wenn sie ein Schlachterbeil rausgeholt hätte. Oder eine Kettensäge.
    »Warum steckst du das Ding nicht weg?«, sage ich und merke erst dann, dass die Wortwahl etwas missverständlich sein könnte.
    Am Glanz in ihren Augen sehe ich, dass sie tatsächlich erwägt, mir diesen Gefallen zu tun, also weiche ich sicherheitshalber ein paar Schritte zurück. Viel mehr Platz habe ich nicht. Nur einen knappen Meter noch, dann geht es abwärts mit mir.
    Ich stehe auf dem Dach des Sir-Francis-Drake-Hotels in San Francisco um kurz nach zehn in einer Nacht Ende August, und eine fuchsteufelswilde, nackte Frau hält mich mit einem Messer in Schach. Das mag mein Dilemma nicht in Gänze erklären, aber es gibt Ihnen zumindest eine Vorstellung davon, wie mein Tag bislang gelaufen ist.
    Ein Hubschrauber nähert sich. Schwopp-schwopp-schwopp machen die Rotorblätter, und die Scheinwerfer durchschneiden die Dunkelheit und den Nebel. Die Bullen!, denke ich, aber dann sehe ich das CBS-News- Logo.
    Großartig. Ich komme in die Abendnachrichten. Das hat mir gerade noch gefehlt.
    Vielleicht hätte ich all das verhindern können, wenn ich nur ein bisschen mehr auf meine Urteilsfähigkeit gegeben hätte.
    Oder wenn ich ein vierblättriges Kleeblatt gefunden hätte.
    Oder wenn ich noch eine Portion Lucky-Charms-Frühstücksflocken gegessen hätte.
    Ich bin nicht abergläubisch, aber manchmal schadet es nicht, besser vorzusorgen.
    »Das ist alles nur deine Schuld!«, sagt sie und umklammert das zwanzig Zentimeter lange Tranchiermesser mit beiden Händen. »Alles. Absolut alles. Deine Schuld!«
    In Situationen wie dieser wünsche ich mir, ich hätte ein paar Kurse in Gesprächsmediation belegt.
    Auch wenn es bei mir zu Hause eher locker zuging und ich schon früh meiner eigenen Wege gehen konnte, weiß ich doch, wie man sich zivilisiert zu benehmen hat. Dass man Bitte und Danke sagt, zum Beispiel. Oder dass man das Handy im Kino ausschaltet. Nur Takt und Feingefühl waren noch nie meine Stärken. Nicht dass ich ein aufrührerisches Wesen hätte. Ich war bloß einfach nie sehr geschickt im Pflegen zwischenmenschlicher Beziehungen. Und wenn je eine Situation Geschick und Takt auf zwischenmenschlicher Ebene erfordert hat, dann ist es genau diese, in der ich mich jetzt gerade befinde. Appelliert man in einem Fall wie diesem an den Humor oder besser an den Verstand seines Gegenübers? Außerdem ist das Ganze ohnehin etwas unangenehm, weil sie nackt ist. Also versuche ich es mit einem Blick in die Ferne und schweige.
    Andererseits sollte ich irgendetwas tun, damit sie merkt, dass ich nicht der Feind bin. Also schenke ich ihr ein Lächeln, das beruhigend wirken soll. Eines, das Spannungen löst und die Stimmung hebt. Obwohl ich nicht unbedingt begeistert bin, hier zu sein. Ich kann mir reihenweise Dinge vorstellen, die ich lieber täte. Schlafen zum Beispiel oder nackt Twister spielen. Stattdessen stehe ich auf dem Dach eines Hotels und versuche, eine angespannte Situation zu entschärfen, bevor weitere Personen verletzt werden. Aber wie alle nackten Frauen, die Messer dabeihaben, missversteht sie meine Absichten.
    »Meinst du, das ist witzig?«, fragt sie und fuchtelt vor mir mit dem Messer in der Luft herum. So bedrohlich wirkt es jedoch gar nicht. Es erinnert mich eher an die Fernsehköchin Rachael Ray bei einer Anleitung über das korrekte Zerteilen von Auberginen. Allerdings ist dies hier keine Kochsendung. Und ich bin auch kein großer Freund von Ratatouille.
    »Nein«, antworte ich und schüttle den Kopf. »Das ist überhaupt nicht witzig.«
    Eine Menschentraube hat sich einundzwanzig Etagen tiefer auf der Sutter Street gebildet, die Gesichter sind nach oben gewandt und im fahlen Schein der Straßenlaternen undeutlich; aber selbst aus dieser Höhe ist nicht zu übersehen, dass der Medienzirkus seine Zelte aufschlägt. Übertragungswagen, Reporter, Flutlichter. Ein Dutzend Kameras sind auf die Spitze des Hotels gerichtet, der CBS-News- Hubschrauber umkreist uns, und der Kameramann, der mit einer Videokamera aus der offenen Tür hängt, hat uns genau im Visier.
    Ich lächle und winke.
    Ich fühle mich wie in einem Hollywood-Film – wie in einer düsteren Actionkomödie, mit ein paar Intrigen und einer Prise persönlichem Drama.
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