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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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weinen sollte. Wie Touristen auf einer Ferieninsel sollten wir völlig schutzlos mitten durch eines der gefährlichsten Krisengebiete der Welt gekarrt werden. Wenigstens wartete am Ausgang des Flughafens ein Wolf, der typische Bundeswehr-Jeep, mit zwei Soldaten auf uns, um als Eskorte vorauszufahren. Wenn das mal als Sicherung reichte …
    Bei der Fahrt ins Camp Warehouse herrschte Totenstille im Bus. Alle waren in Gedanken versunken oder schauten neugierig aus dem Fenster. Mir fiel ein, welche Unter-der-Hand-Informationen über die angespannte Sicherheitslage ich von Kameraden bekommen hatte. Ich versuchte verzweifelt, unsere Fahrt im Jingle Truck mit dem Risiko sowie den Kenntnissen aus meiner militärischen Ausbildung in Einklang zu bringen. Und so schaukelten wir in unserem Bus unter Glöckchenklingeln über die Jalalabadroad in Richtung Camp. Ein Jahr und zwei Monate fuhren die ungepanzerten Busse der Bundeswehr weiter. Dann, am 7. Juni 2003, sprengte sich ein Selbstmordattentäter auf genau dieser Straße in seinem Taxi in die Luft. Ein Bundeswehrbus, das Ziel dieses Anschlags, wurde dabei völlig zerstört. Vier Soldaten kamen ums Leben, 29 wurden zum Teil schwer verletzt und haben teilweise bis heute mit den gesundheitlichen und psychischen Folgen zu kämpfen. Erst danach änderte die Bundeswehr ihre Taktik und setzte für den Transfer zwischen Flughafen und Camp Warehouse gepanzerte Fahrzeuge ein. Wer auch immer für die Entscheidung verantwortlich war, den Terroristen so unbekümmert ein Ziel anzubieten und gegen jegliche militärische Grundsätze zu handeln – ich hoffe inständig, dass er mit dieser Schuld leben kann und niemals den Müttern dieser Kameraden begegnen wird.
    Mein Bauchgefühl beruhigte sich, als wir das Camp Warehouse erreichten und durch das Haupttor fuhren. Was ich sah, glich einem Ameisenhaufen. Soldaten und Fahrzeuge verschiedenster Nationen kreuzten unseren Weg, überall zwischen den Zelten und Containern liefen beschäftigte Menschen herum, dazu ein Stimmengewirr aus allen möglichen Sprachen wie im biblischen Babel. Ich erkannte Uniformen und Flaggen aus Spanien, den Niederlanden, Österreich, der Türkei, Bulgarien, Rumänien, Schweden und Dänemark. Sie alle gehörten zur KMNB – jener »Kabul Multinational Brigade«, in der ISAF-Soldaten aus aller Herren Länder im von der Bundeswehr aufgebauten Camp Warehouse gemeinsam ihren Dienst taten. Das versprach eine interessante Arbeit zu werden, mit so vielen unterschiedlichen Soldaten. Doch mich interessierten zunächst nur drei Dinge, und zwar in exakt dieser Reihenfolge: Wo ist mein Bett? Wo ist das Klo? Wo bekomme ich Kaffee her?
    Dann erregte das einzige feststehende Gebäude meine Aufmerksamkeit: ein viergeschossiger, älterer und langgezogener Zweckbau, der direkt an der Jalalabadroad im vorderen Bereich des Camps lag. In dieser ehemaligen Straßenmeisterei war der Stab der KMNB untergebracht. Direkt vor dem Gebäude machte sich jemand durch Winken bemerkbar: mein bester Kamerad und Freund Alex. Wir hatten vor meiner Abreise öfter miteinander telefoniert, und so wusste ich, dass er als Verbindungsmann zu den Spezialkräften im Stab abgestellt war. Ich hoffte inständig, dass wir zusammen eingesetzt würden. Zumindest hatte ich ihn vorab darum gebeten, sich nach einem interessanten Aufgabengebiet für mich umzusehen, damit ich nicht als Kraftfahrer mein Dasein fristen musste. Nach der freudigen Begrüßung eiste er mich erst mal aus dem Tross der anderen Neuankömmlinge los und tat etwas ganz Großartiges: Er übergab mir sein Gewehr, ohne große Worte. Endlich war ich nicht mehr auf den irgendwo verschüttgegangenen Waffencontainer angewiesen und konnte mir ganz entspannt von Alex das Lager zeigen lassen.
    Ich war stark beeindruckt, wie weit das Camp schon aufgebaut worden war. Die Infanteriekräfte hatten wirklich herausragende Arbeit geleistet, obwohl sie sich nur nebenbei um die interne Infrastruktur hatten kümmern können. Denn mit ihren eigentlichen Aufgaben – wie Wache, Patrouille und die QRF (Quick Reaction Force) zu bilden, also die Schnelleinsatzkräfte für den Fall eines Zwischenfalls außerhalb des Lagers – waren sie bereits voll ausgelastet. Bei unserem Spaziergang durch das Lager berichtete Alex, dass sein Plan geklappt hatte: Er hatte erwirkt, dass ich zusammen mit ihm im Stab der KMNB arbeiten durfte. Meine Ausbildung und mein fließendes Englisch, das für die multinationale Zusammenarbeit in der Zentrale
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