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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul
Autoren: Achim Wohlgethan
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mehr viel mit, da mein »schwerer« Kopf schon leicht nach vorne geneigt war. Und so holte ich während des 6,5-stündigen Fluges etwas Schlaf nach.
    Die Landung auf dem Luftumschlagplatz in Termez, einer usbekischen Provinzstadt keine zehn Kilometer vor der nördlichen Grenze zu Afghanistan, verlief unspektakulär. Von hier muss man in eine C 160 Transall steigen, um weiter nach Kabul oder Bagram zu reisen. Das ist nicht ganz ungefährlich. Niemand weiß genau, wie viele Raketen es in Afghanistan gibt, ob und wann sie gegen Flugzeuge gerichtet werden. Deshalb sind sämtliche Maschinen mit sogenannten Flares ausgestattet, die im Falle eines Raketenbeschusses ausgestoßen werden. Diese Täuschkörper lösen sich automatisch, wenn das Flugzeug mit einer Rakete oder von einem aktiven Radar vom Boden aus angepeilt wird, und bieten der wärmesuchenden Munition ein Ersatzziel. Mit entsprechend mulmigem Gefühl im Bauch setzte ich mich nach einer relativ ruhigen Nacht im Zeltlager des Luftumschlagpunktes in die Transall. Mir standen vierzig Minuten Flug in die afghanische Hauptstadt bevor, vierzig Minuten voll lebensgefährlichen Risikos: Wir flogen über eine unwirtliche und lebensfeindliche Sandwüste unter uns. Falls wir notlanden müssten, hätten wir weder Waffen noch Essen noch irgendwas dabei. Wären wir beschossen worden, wären wir nach einer Notlandung jeder kleinen Bande völlig wehrlos ausgeliefert gewesen. Das dumme Gefühl in meinem Bauch verstärkte sich von Minute zu Minute. Mir schwante, dass dieser Einsatz eine Grenzerfahrung werden würde.
    Einen guten Vorgeschmack lieferte der Anflug auf Kabul. Der Flughafen Kabuls, der Kabul International Airport oder auch »KIA«, liegt nämlich in einem engen Talkessel. Die Ausläufer des 2199 Meter hohen Berges Rawash gehen bis ans Ende der Landebahn. Als ausgebildeter Hubschrauberpilot hatte ich einen Höllenrespekt vor der Herausforderung und verfolgte gespannt, wie der Pilot den Steilabstieg, ja beinahe Sturzflug bewältigte, um den Bergen nicht zu nahe zu kommen. In der Maschine breitete sich Nervosität aus, nun wurde es ernst. Meine Gedanken waren längst am Boden. Ich fragte mich, wie ich schnell an meine Ausrüstung komme. Diese verfluchte Hilflosigkeit, hier jedem Verrückten oder Terroristen wehrlos ausgeliefert zu sein, war zermürbend. Als Fallschirmjäger war mir eingebläut worden, niemals ohne Waffe irgendwohin zu gehen, und für Afghanistan schien mir dieser Grundsatz erst recht sinnvoll. Diese Ahnung verstärkte sich noch, als ich beim Blick aus dem Fenster etwas mehr vom Flughafen sehen konnte: Überall lagen zerstörte Flugzeuge und Tankfahrzeuge herum, die vor sich hin rosteten, daneben Wracks von abgeschossenen Militärfahrzeugen und Panzern – kein sehr vertrauenerweckender Anblick. Auch dem Allerletzten in der Maschine war nun schlagartig klar geworden, dass wir uns mitten in einem Kriegsgebiet befanden.
    Noch während die Maschine rollte, wurde die Heckrampe geöffnet. Sofort breiteten sich die einströmende trockene Hitze und der Staub aus, der sich auf unsere Haut legte und in unseren Atemwegen einnistete. Dabei wurde der unglaubliche Gestank dieser Stadt glücklicherweise von dem Kerosingeruch der Turboprop-Motoren überdeckt – noch! Über der Stadt hing eine dichte Smogglocke, die den uralten Autos und unzähligen Feuern geschuldet war. Weil es kaum Strom gibt, aber Energie zum Heizen oder Kochen benötigt wird, zünden die Afghanen einfach alles an, was nur irgendwie zum Brennen gebracht werden kann. Als wir ausstiegen und alle zusammen einem Feldwebel in einen sicheren Bereich folgten, hatte ich meine erste Extremerfahrung mit dieser Stadt: Ein stechend süßlicher, alles überdeckender Geruch stieg mir in die Nase. Mein ganzes Leben werde ich diesen bestialischen Gestank nicht mehr vergessen können.
    In dem abgesperrten Bereich wurden wir alle vom Personalfeldwebel namentlich erfasst. Ich stand etwas unruhig dabei und versuchte, irgendwo unsere Waffencontainer zu erspähen. Leider Fehlanzeige. Sie waren wohl noch nicht ausgeladen worden. Ich würde mich wohl oder übel auf unseren bewaffneten Begleitschutz verlassen müssen. Als wir zu den Bussen geführt wurden, war ich wirklich schockiert. Es waren stinknormale, zivile Charter-Busse! Wir nannten sie »Jingle-Trucks«, weil sie von oben bis unten mit Verzierungen aus Holz sowie Ketten und Glöckchen in jeder Form und Größe behängt waren. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder
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