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Solar

Solar

Titel: Solar
Autoren: Ian McEwan
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von Solvay ist in die Geschichte eingegangen; jedermann ist klar, warum Feynman von Beards Ideen so begeistert war. Beard zeigte auf, dass gewisse Diagramme, mit denen die Interaktion von Licht und Materie dargestellt wurde, einer bisher unbekannten subtilen Symmetrie gehorchen, wodurch die Rechenoperationen enorm vereinfacht werden konnten. Nach verbreiteter Auffassung beschreibt die Quantenmechanik das sehr Kleine; und es stimmt ja, nur sehr kleine Systeme können eine innere Ordnung in dem Sinne wahren, dass sie ihre Isolation von der Umgebung beibehalten. Doch Beards Theorie hat gezeigt, dass die bei der Interaktion von Strahlung und Materie stattfindenden Ereignisse sich kohärent über im Vergleich zur Größe von Atomen sehr große Entfernungen fortpflanzen; darüber hinaus gleicht die Art ihrer Fortpflanzung den Flussdiagrammen komplexer Systeme, jenen Darstellungen, mit denen Ingenieure die Funktionsweise einer Ölraffinerie oder die logischen Schritte eines Computerprogramms anschaulich machen. Dies hat unser Verständnis vom photoelektrischen Effekt so sehr verändert, dass wir heute vom Beard-Einstein-Theorem sprechen - und welcher Physiker träumte nicht davon, seinen Namen in dieser Verschmelzung zu sehen: befindet sich Beard damit doch in einer stolzen Ahnenreihe, an deren Anfang Einsteins revolutionärer Aufsatz von 1905 steht.
    Als genialer Popularisierer ersann Feynman zur Veranschaulichung eine Art Partyspiel, mit dem sich das Prinzip des Theorems verdeutlichen lässt. Dazu braucht man sechs Gürtel oder Riemen, die zu einem hübschen Muster verflochten werden. Dann nehmen sechs Leute je zwei Enden und halten den Knoten so, dass man ihn genau betrachten kann. Für jeden augenfällig handelt es sich um einen unentwirrbaren Knoten, der nur gelöst werden kann, wenn alle Mitspieler ihre Enden loslassen. Sodann vollführen die Mitspieler mit ihrem jeweiligen Nachbarn eine Art Ländler, durch dessen Drehfiguren die Unentwirrbarkeit des Knotens noch gesteigert zu werden scheint. Alsbald jedoch ziehen alle Mitspieler auf ein Zeichen hin gleichzeitig an ihren Enden, und zum Erstaunen der Zuschauer lösen sich die Gürtel voneinander. Feynmans Knoten ist aus keiner Physikvorlesung mehr wegzudenken, wahrscheinlich gibt es kaum einen Physikstudenten, der ihn nicht schon einmal ausprobiert hat; manch einer mag bei dem fröhlichen Treiben sogar seinen künftigen Ehepartner kennengelernt haben.
    Hier wird der topologische Kern von Michael Beards Idee sichtbar: das Handeln der Gruppe (der speziellen Lie-Gruppe E8, einer der sperrigeren Bewohner von Piatos Reich), das die komplexen Interaktionen zwischen Licht und Materie entwirrt und Choreographien und in eine Folge logischer Schritte auflöst. Die Magie liegt im Zusammenspiel, und wenn sich das Ganze wie durch Zauberhand löst, so lässt uns das an Einsteins Bemerkung denken, Bohrs Atomtheorie sei die höchste Form von Musikalität im Reich der Gedanken. Oder mit den Worten des Philosophen Francis Bacon:

    Die reinste und schönste Harmonie entsteht, wenn die einzelnen Teile oder Instrumente nicht jeweils für sich allein, sondern als Verschmelzung aller vernommen werden.

    Professor Michael Beard, der diesjährige Nobelpreis für Physik wird Ihnen verliehen für Ihren profunden Beitrag zum besseren Verständnis der Interaktion zwischen Materie und elektromagnetischer Strahlung. Es ist mir eine Ehre, Ihnen den herzlichsten Glückwunsch der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften zu übermitteln. Ich bitte Sie, vorzutreten und Ihren Nobelpreis aus den Händen Seiner Majestät des Königs in Empfang zu nehmen.
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