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Söhne der Erde 16 - Der Riß In Der Welt

Söhne der Erde 16 - Der Riß In Der Welt

Titel: Söhne der Erde 16 - Der Riß In Der Welt
Autoren: Susanne U. Wiemer
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sprechen.« Er zögerte und blickte in das kantige Gesicht, das so viel von den handfesten, in einer wissenschaftlich geprägten Welt wenig karrierefördernden Charakterzügen seines Gegenübers spiegelte.
    »Sind Sie sicher, daß Sie mit den Leuten verhandeln können, Carrisser? Die Merkur-Siedler haben immerhin zwanzig Jahre Strafkolonie hinter sich. Sie sind möglicherweise auf Rache aus.«
    »Das glaube ich nicht. Wenn sie Rache wollten, hätten sie das schon auf Luna haben können.«
    Aber auf Luna waren die Terraner dabeigewesen, dachte Jessardin. Barbaren mit ihren altertümlichen Ehrbegriffen, die es ihnen verboten, sich an Gefangenen zu vergreifen, obwohl das Element der Rache sonst durchaus zu ihrem Alltag gehörte. Wer konnte ermessen, wieviel Haß sich während zweier Jahrzehnte Zwangsarbeit in den düsteren Katakomben der Mond-Bergwerke in einem Mann wie Mark Nord angestaut haben mochte? Jessardin zögerte einen Augenblick, obwohl er seine Entscheidung bereits gründlich durchdacht hatte. Und obwohl die Wissenschaftler - wenn auch auf der Basis zwanzig Jahre alter Psychogramme - ebenfalls der Ansicht waren, daß kein Racheakt von seiten der Merkur-Siedler zu erwarten sei.
    »Gut, Carrisser,« sagte der Präsident schließlich. »Ich verlasse mich auf Sie. Im übrigen haben Sie noch Zeit, sich die Sache zu überlegen.«
    »Danke, mein Präsident. Aber ich brauche nicht mehr zu überlegen.«
    Ein paar Minuten später verließ Marius Carrisser das Büro mit der Gewißheit, daß sich schon bald niemand mehr an sein Fiasko auf Luna erinnern würde.
    *
    Wind peitschte die grauen Wogen des Atlantik auf.
    Längst war die Küste des nordamerikanischen Kontinents hinter dem Horizont verschwunden. Und mit ihr die gespenstische Ruinenstadt New York, das grüne Land am Meer - und die Toten, die im Bombenhagel jener Schreckensnacht gestorben waren, als die Priester das Dorf der Fischer bombardierten, mit denen die Terraner friedlich zusammengelebt hatten.
    Ächzend pflügte das Holzschiff mit den beiden großen Segeln durch die Wellen.
    Niemand ahnte etwas von der Existenz dieses Schiffes. Niemand wußte, daß die Söhne der Erde nicht in der »Terra« umgekommen, sondern in letzter Minute geflohen waren. Der junge Mann, der sie vor den Plänen der Priester und des Marsianers gewarnt hatte, lehnte schweigend am Mast und starrte nach Süden. Sein Rücken zeigte noch die Peitschenstriemen, deren Narben ihn immer an Bar Nergal, den Oberpriester, erinnern würden. Aber nicht deshalb hatte er sich von dem Volk der Totenstadt abgewandt, deren Königin seine Mutter war.
    Cris glaubte nicht mehr an die Göttlichkeit der Priester.
    Er hatte gelernt, ein Flugzeug zu lenken wie seine Brüder, aber er wollte keine Bomben auf ahnungslose Menschen werfen. Er glaubte nicht, daß die Fremden von den Sternen das Recht hatten, ein ganzes Volk einfach auszurotten. Deshalb stand er jetzt hier, die schrägen gelben Augen zusammengekniffen, die als einziges in seiner Erscheinung an die Katzenwesen der toten Stadt erinnerten, und blickte dorthin, wo irgendwann die legendären Südinseln auftauchen mußten.
    Unter Deck hatten sich die Menschen eingerichtet, so gut es in der drangvollen Enge ging.
    Yattur, der letzte Überlebende des Fischervolkes, lehnte an der Balustrade des Achterschiff-Aufbaus und beobachtete die düsteren Wolkenbänke im Osten, die sich immer höher schoben. Er führte das Schiff als Kapitän, war seit seiner Kindheit damit vertraut. In dem glatten, dunklen Gesicht unter dem tiefschwarzen Haar hatten seine Augen das klare, leuchtende Blaugrün südlicher Meere. Jener Meere, die sie erreichen wollten, um einen Platz zum Leben zu finden, auf einer der paradiesischen Inseln, vielleicht, von denen die Legenden der Fischer sprachen.
    »Yattur macht sich Sorgen,« sagte Lara Nord, die an dem hölzernen Schanzkleid stand. »Er fürchtet, daß sich ein Sturm zusammenbraut.«
    Charru von Mornags Augen streiften den schlanken, dunkelhäutigen Mann. Der junge Barbarenfürst zuckte die Schultern.
    »Wir haben gelernt, mit dem Schiff umzugehen, und Yattur weiß, was er tut,« sagte er ruhig. »Es ist besser für ihn, an das Schiff oder den Sturm zu denken statt an all die Toten.«
    Lara nickte nur. Unter dem helmartig geschnittenen blonden Haar war ihr Gesicht sehr blaß. Mit einer unbewußten Bewegung tastete sie nach ihrem Leib, der sich bereits sichtbar wölbte. Sie vertrug das Rollen und Stampfen des Schiffes nicht und ahnte,
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