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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet
Autoren: Laabs Kowalski
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allem Unglück sah ich auch noch wie ein kompletter Dorfidiot aus, denn ich
hatte meine Mutter am Vortag gebeten, mir die Haare zu schneiden, was gründlich
daneben gegangen war. Was mir nun fehlte, war ein Seil, an dem ich mich
aufhängen konnte.
             Kurz, bevor wir wieder zurückfuhren, nahm ich
all meinen Mut zusammen und ergriff ihre Hand. Carola erwiderte meinen Druck.
Nun hätte ich mich eigentlich zu ihr beugen müssen, um sie zu küssen, doch ausgerechnet
da erschien Herr Schenkenberger im Kinderzimmer und sagte, dass er uns nun zum
Bahnhof fahren würde. Komisch, aber warum war ich ihm nicht dankbar dafür?
     
    Im Februar zeigte der Winter noch einmal, was er so
draufhatte, und begrub nicht nur abermals Schleswig-Holstein, sondern auch
Dortmund komplett unter Schnee. Rüdiger und ich liefen über die weiß
daliegenden Felder und traten die Namen unserer Freundinnen in der Größe der
peruanischen Nasca-Linien in den Schnee. Mit dem Namen Kerstin Schenkenberger
hatte Rüdi deutlich mehr Arbeit als ich.
    Erst Ende Februar sahen wir die
Mädchen wieder. Abermals gelang es mir nicht, den richtigen Augenblick
auszuwählen, um Carola endlich zu küssen. Rüdi und Kerstin dagegen knutschten
hemmungslos rum. Wie gern wären Carola und ich an ihrer Stelle gewesen.
     
    Dieter Thomas Heck moderierte nun auch „Die Pyramide“,
eine Spielshow im Vorabendprogramm. Aufregender aber war die Serie „Drei Engel
für Charlie“, in der drei klasse aussehende Frauen im Auftrag ihres ihnen
unbekannten Chefs, der sich nur per Telefon meldete, Kriminalfälle lösten. Aber
es wurde noch besser: Samstags erhielt das ZDF nun von einem Außerirdischen vom
Planeten Ork Besuch. Rüdi und ich wurden leidenschaftliche Fans von „Mork vom
Ork“. Doch diesmal sahen uns selbst Christian, Klaus und Friedhelm seltsam an.
     
    Andreas Kuss verprügelte Rüdiger Kurek, und ich
verprügelte ihn, weil er meinem Freund was angetan hatte. Empört schellte
Andreas Kuss bei uns an, um sich bei meiner Mutter über mich zu beschweren.
Meine Mutter holte kurz Schwung und verpasste ihm eine Ohrfeige: „Da hasse noch
eine – fürs Petzen!“ und schlug die Tür vor ihm zu.
             Eine Viertelstunde später schellte es erneut.
Diesmal stand Herr Kuss in der Tür. Meine Mutter holte kurz Schwung, ohrfeigte
ihn und sagte: „Ihre Frau kann auch gern eine haben.“
             Herr Kuss stand da und kriegte den Mund nicht
mehr zu.
     
    Wieder fuhren Rüdi und ich in das Naturfreundehaus in
Greven. Drei Tage am Stück mit Carola und Kerstin! Und endlich kam es auch zum
lang ersehnten ersten Kuss zwischen Carola und mir.
    Harry mit der schief stehenden
Nase hatte eine Platte mitgebracht, „Sheik Yerbouti“ von Frank Zappa. Rüdi und
ich waren auf der Stelle infiziert. Vor allem der Song „Give an Apple“ hatte es
uns angetan. Harry aber klärte uns auf. Wir hatten uns verhört. Nicht „Give an
Apple“ sang Frank Zappa in dem Lied, sondern „You’re an Asshole“. Jetzt waren
wir erst recht infiziert. Kaum zurück in Dortmund fuhren wir in die Stadt und kauften
uns jeder die Doppel-LP.
     
    Im Radio wurde plötzlich eine Gruppe namens Dschingis
Khan mit ihrem gleichnamigen Lied rauf und runter gespielt. Es war das absolute
Grauen. Gab es keine Lieder mehr wie Straßburg lag im Sonnenschein ? Gut,
dass wir Frank Zappa hatten. Auch Klaus war begeistert von dieser Musik, die
völlig anders war, nämlich schräg und vor allem witzig. Wir fuhren zu „Elpi“,
einem Plattenladen auf dem Platz von Leeds, und kauften uns die Alben „Overnite
Sensation“ (Klaus), „Apostrophé“ (ich) und „Zappa in New York“ (Rüdiger). Im
Partykeller von Klaus hörten wir sie uns an und spielten Doppelkopf. Schwere
Zeiten für Christian und Friedhelm, denn sie bevorzugten The Byrds (Christian)
und The B-52’s (Friedhelm), eine brandneue Band aus Amerika, deren Sängerinnen
Bienenkorbfrisuren trugen. Sie machten ziemlich eigenartige Musik, eine
Mischung aus Retro und New Wave. Aber bitte, wer’s mochte.
     
    Nach den Ferien kam ich in die Oberstufe des
Einstein-Gymasiums in der Brauhaustraße im Dortmunder Norden. Merkwürdig, zum
ersten Mal Mädchen in der Klasse zu haben, man wusste gar nicht, wo man hingucken
sollte! Vor allem Sylvia Hagenhoff und Karin Glorius machten mich nervös, und
ich schämte mich, weil doch Carola meine Freundin war. Neu war auch, dass man
von den Lehrern nicht mehr angeschrien oder als Kretin
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