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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet
Autoren: Laabs Kowalski
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so glücklich-fremd erscheinenden siebziger
Jahren.
    All diejenigen, die zwischen 1959
und 1969 geboren sind, haben in ihrer Kindheit und Jugend Erlebnisse und
Erfahrungen gemacht, die im Rückblick generationstypisch sind: Erinnerungen an
Bonanza-Fahrräder, die Musiksendung Disco , den ZDF-Vierteiler Der
Seewolf mit Raimund Harmsdorf und an Familien, die abends gemeinsam vor dem Fernseher saßen. Zu diesen kollektiven Erinnerungen gehört auch das
samstägliche Baderitual. Und wenn die Mutter rief: „Raus aus der Wanne, Enterprise fängt an!“ war Eile angesagt, denn auf keinen Fall wollte man auch nur eine
Sekunde des Serienvorspanns verpassen.
     
     „Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr
2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise , das mit seiner
vierhundert Mann starken Besatzung fünf Jahre lang unterwegs ist, um neue
Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von
der Erde entfernt, dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein
Mensch zuvor gesehen hat.“
     
    Wehmut und Sehnsucht, die Ahnung, dass das Leben größer
und wunderbarer sei, als man sich dies mit acht, neun oder zehn Jahren
vorzustellen in der Lage war, schwangen in diesen Worten mit. Blitzsauber, ein
von Mama mit Gürkchen garniertes Wurstbrot in der Hand, saßen wir, von einem
seltsamen Zauber erfüllt, auf dem Sofa und verfolgten die Abenteuer von Captain
Kirk, Pille und Spock, deren Erlebnisse zugleich ein gerauntes Versprechen
betreffs unserer eigenen Zukunft waren.
             Das ZDF lockte uns aber nicht nur mit Raumschiff
Enterprise aus der Wanne hervor. Der Vorabend, das war auch der Sendeplatz
von Daktari , von Tarzan mit Ron Ely , von Dick &
Doof , dem Rosaroten Panther und von Schweinchen Dick .Nie
sind wir, wie wir da so friedlich auf den Bildschirm starrten, dem Paradies
näher gekommen. Solange wir schauten, existierte die wirkliche Welt nicht für
uns. Wir waren, ohne uns darüber im Klaren zu sein, zu Größerem und Wahrerem
vorgedrungen. Frieden hielt unsere noch jungen Seelen umfasst. Und das Beste:
Noch war der Fernsehabend nicht vorbei. Am Samstagabend wartete nach den
Nachrichten entweder die ZDF-Hitparade oder die Musiksendung Disco mit Betonseitenscheitel Ilja Richter auf uns und zementierte unser kleines
Paradies, sponn uns ein in einen Kokon und sorgte für familiäre Eintracht vor
dem Fernsehgerät.
    Das Programm umlullte uns, auch
Mama und Papa überließen sich dem Phlegma und injizierten sich ihre
Wochenenddosis. Denn ja, das Fernsehen war in Teilen tatsächlich die von
linksorientierten Journalisten vermutete Droge, die das Volk umnebelte und
dafür sorgte, dass es sich friedlich verhielt. Was uns rückblickend in unseren
Erfahrungen eint und nun dafür sorgt, dass wir im Gespräch mit ungefähr Gleichaltrigen
den Zauber unserer Jugendjahre heraufzubeschwören vermögen, ist auch das
Ergebnis einer oktroyierten Konformität. Uniform in unseren Vorlieben,
lieferten uns die öffentlich-rechtlichen Sender TV-Formate, die unsere
Wahrnehmungen und Denkrichtungen de-individualisierten, ganz besonders am
Wochenende, wenn das Samstagabendprogramm mit großen Shows wie Dalli Dalli , Am laufenden Band und Musik ist Trumpf fortgesetzt wurde. So
erlebten wir nicht nur in der realen Welt, in der Schule und am Arbeitsplatz,
letzten Endes alle dasselbe, sondern wurden auch medial einheitlich geprägt.
    Für uns Kinder setzte sich diese
mediale Gleichschaltung am Sonntagmittag mit dem Kinderprogramm fort. Der
Kli-Kla-Klawitterbus , Das feuerrote Spielmobil und die Rappelkiste lockten uns erneut vor das Fernsehgerät. Aber es gab noch eine anderes, sehr
wesentlicheGemeinschaftserfahrung: Nicht nur, dass Kinder damals noch
harmlose Spiele wie Verstecken oder Räuber und Gendarm spielten
und sich dazu freiwillig nach draußen begaben – immer und überall waren
Horden von Kindern auf den Straßen präsent! Es waren die geburtsstarken
Jahrgänge vor dem so genannten Pillenknick, und um Spielkameraden zu treffen,
musste man sich nicht erst zuvor verabredet haben, sondern man ging einfach vor
die Tür. Und fand man wider Erwarten keine Gleichaltrigen vor, klingelte man an
einer Haustür an und fragte: „Kommt der Ralle raus?“
    Wer in Vororten aufwuchs – und
sind wir das zum größten Teil nicht alle? –, dem bot sich eine Fülle von
Möglichkeiten, die Zeit zu verbringen. Überall wurde gebaut, so dass man auf den
Baustellen herumturnen konnte.
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