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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet
Autoren: Laabs Kowalski
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„Arschloch! Ich sag’ Petras Mutter, du hast ihr Bonbons
gegeben, damit du sie unterm Kleid anfassen darfst. Ich werde sagen, du hast
deine Hand in ihr Höschen gesteckt!”
    „Verschwinde! Hau
ab!”, erwiderte ich. “Oder ich versohl’ dir den Hintern!”
    „Ich sag’ ihrer
Mutter, du hast Schweinereien mit Petra gemacht!”, wiederholte er stur. „Dann
bist du dran, du Wichser! Dann kommst du in den Knast!”
    Die kleine Kröte
feixte mich an. Vor meinem geistigen Auge erschienen Bilder, wie ich den Rest
des Tages auf der Polizeiwache verbrachte, mir gegenüber ein mies gelaunter
Kommissar, der von meiner Schuld überzeugt war.
    „Hör zu, du Schwein”,
hörte ich ihn sagen. „Wieso hast du der Kleinen Bonbons geschenkt, wenn du angeblich
nichts von ihr wolltest? Weil du der Weihnachtsmann bist?”
    Der verschmutzte
kleine Bastard blickte mich kaltschnäuzig an. „Und ein Eis will ich auch, aber
ein großes!”
    Ich gab ihm die
Bonbons und das Eis und sagte: „Erstick dran!” Aber ich wusste bereits, in
dieser Welt war kein Platz mehr für Wunder. Man wurde von Schneekatastrophen,
der Liebe und sechsjährigen Gangstern gequält, und niemand scherte sich drum.
    „Bis morgen,
Arschloch!”, sagte der Bastard. „Dann komme ich wieder.”
    Er kam tatsächlich
wieder. Zum Glück stand gerade Manna Nüst bei mir am Fenster, um sich
Zigaretten zu holen. Ich hatte ihm die Geschichte von dem Mini-Gangster gerade
eben erzählt. Also legte Manna seine riesige Pranke auf die Schulter des
kleinen Gangsters und sagte: „du musst hier noch’n Eis bezahlen, du Scheißer!“,
und der kleine Scheißer begriff.
     
    Das Konzert wurde vom 25. Mai auf den 17. Juni verschoben
– ein Glücksfall. Denn obwohl ich die Konzertkarte hatte und dem Ereignis
entgegenfieberte wie Omma Zarth einem Lottogewinn, hatte ich beschlossen, am
25. Mai nicht in die Westfalenhalle zu gehen, sondern mit Rüdi, Klaus und
Friedhelm auf das Pfingstcamp der Naturfreunde in Bochum zu fahren, angetrieben
von dem Gedanken, im gemeinsamen Zelt mit Carola vielleicht endlich mehr als
nur Petting zu machen. Aber als wir nebeneinander lagen, war es wie immer. Ich hatte
einfach nicht den Mut, etwas in diese Richtung zu tun. Ohne dass etwas geschah,
schliefen wir ein. Dass heißt, Carola schlief ein. Ich lag bis zum Morgen wach
da und ärgerte mich über mich selbst. Gar keine Frage, dass ich ein Vollidiot
war!
    Als ich, wieder zurück in
Dortmund, erfuhr, dass ich das Konzert nicht verpasst hatte, sondern dass es
erst noch stattfinden würde, konnte ich mein Glück kaum fassen. Irgendwelche
Götter dort oben mussten mich lieben, wahrscheinlich Black Jack , der
Gott der Zocker und Irren.
     
    Bereits um 19.30 Uhr schoben sich die Menschenmassen auf
die Eingänge zu. In der Menge entdeckte ich Harry mit der schief stehenden
Nase, kam aber nicht zu ihm durch.
    Punkt acht ging das Licht aus,
und John Paul Jones, Robert Plant, John Bonham und Jimmy Page betraten die
Bühne. Ein Aufschrei des Entzückens brandete auf. Ich aber wollte meinen Augen
kaum trauen. Jimmy Page wirkte ausgemergelt und schwach und trug eine
Bundfaltenhose, John Paul Jones eine hässliche Kurzhaarfrisur.
    Noch schlimmer hatte es Robert
Plant erwischt, der aussah wie eine unglückliche Mischung aus Bernhard Brink
und Graham Bonney. Ich war maßlos enttäuscht. Jahre hatte ich auf diesen
Augenblick gewartet und mir herbeigesehnt, die größte und wildeste Rockband
dieses Planeten endlich einmal live zu erleben, und nun sahen meine Götter aus
wie Popper. Wozu hatte ich mir eigentlich die Haare langwachsen lassen?
     
    Kurz vor 21 Uhr spielten Led Zeppelin Rock’n’Roll und Whole Lotta Love . Dann war es vorbei. Die Band verschwand von der Bühne,
und fast augenblicklich ging das Hallenlicht an. Die Band, der der Ruf
vorauseilte, Konzerte von dreieinhalb Stunden oder länger zu spielen, hatte
gerade mal eine Stunde gespielt. So ein Betrug! Nur wenige Monate später sollte
John Bonham, ihr Dummer,  versterben. Led Zeppelin lösten sich auf.
     
    Draußen vor der Westfalenhalle, auf dem Weg zur
Straßenbahnhaltestelle,  dröhnte mit aus einem Autoradio Once in a Lifetime von den Talking Heads entgegen, ein seltsamer, neuer Sound, der sich mit der
milden Juniluft mischte. Irgendetwas war anders geworden. Ich war siebzehn, und
die Siebziger waren vorbei.
     
     
     

        Eine Kindheit in
    Dortmund inden 70er Jahr
    n
   
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