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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet
Autoren: Laabs Kowalski
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bezeichnet wurde. Solche
Schulen gab es also auch. Und ein Lernpensum, das mich schwindelig machte. In
Mathe verstand ich bald schon gar nichts mehr.
             Weil ich auf der Realschule ab der Neunten keine
zweite Fremdabsprache gehabt hatte, musste ich mich nun für Französisch, Latein
oder Russisch entscheiden. Ich entschied mich für Russisch.
    Schon das Erlernen der
kyrillischen Buchstaben ließ mich verzweifeln. Ebenso gut hätte ich versuchen
können, Bantu-Chinesisch zu erlernen. Wieso war ich überhaupt auf das Gymnasium
gewechselt anstatt wie einmal geplant die Forstfachschule in Münster zu
besuchen? Es gab nur eine einzige Antwort darauf: Ich hatte nicht mehr alle
Datteln an der Palme.
     
    Für die Sommerferien war Großes geplant: eine Reise zu einem
Onkel meines Vaters (und Bruder meiner Oma) nach Vancouver in Kanada. Von
Frankfurt aus ging es mit einem Zwischenstopp auf Island nach British Columbia.
An Bord: Omma Zarth, mein Vater, Onkel Manni, Onkel Catcher und ich. Omma
freute sich, ihren nach dem Krieg ausgewanderten Bruder nach Jahrzehnten der
Trennung nun endlich wiederzusehen. Vater, Manni und Catcher freuten sich auf
die Spiel-casinos von Reno, wohin sie einen Abstecher planten.
             Nach der Landung auf dem Vancouver International
Airport wandte sich Onkel Manni an seinen Bruder: „Echt, Catcher, allmählich
langweilen mich die ewigen Prügeleien an Bord.“ Dann wurde er von örtlichen
Flugsicherheitsbeamten abgeführt. Nach langem Einreden Onkel Walters auf die
Beamten und mit der Zusicherung, dergleichen würde nicht mehr geschehen, erhielt
Onkel Manni, nachdem er eine Geldstrafe gezahlt hatte, endlich den
Einreisestempel.
     
    Onkel Walter war nahezu blind. Wie er berichtete, betrug
seine Sehfähigkeit auf dem rechten Auge zwölf Prozent. Das linke allerdings sei
nicht mehr so gut. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, auf der Fahrerseite
seines blauen Buick einzusteigen und sich schroff in den Verkehr einzufädeln.
             „Hans-Jürgen“, ließ er meinen Vater wissen. „Du
sagst mir, wann ich bremsen muss. Die Strecke hab’ ich im Kopf.“
             Onkel Manni, ohnehin beim Autofahren immer von
Ängsten geplagt, war nahe dran, in Ohnmacht zu fallen. Aber Onkel Walter fuhr
gar nicht mal schlecht. Hin und wieder touchierte er zwar andere Wagen, dennoch
brachte er uns sicher ans Ziel.
    Kaum dass er den Buick in der
Garageneinfahrt gestoppt hatte, öffnete Onkel Manni die Tür, um sich zu
übergeben. Bleich wie ein Gespenst folgte er Onkel Walter ins Haus.
             Im Esszimmer hatte Tante Paula bereits den Tisch
festlich gedeckt. Alles lag bereit: neue Kartenspiele, Jetons in grün, blau,
gelb, rosa und schwarz, Sandwiches und Zigaretten. Außerdem stand für jeden
Spieler ein großer Aschenbecher am Platz.
             „Herzlich willkommen!“, sagte Tante Paula auf Deutsch.
„Ich hoffe, ich habe alles richtig gemacht.“
    Hatte sie. Vier Tage Vancouver,
und die Erwachsenen hatten das Haus nicht ein Mal verlassen.
             „Ich weiß nicht, wie Onkel Walter es macht,
seine Karten zu sehen“, sagte Onkel Manni, als er am zweiten Tag kurz mal zur
Toilette ging, „aber er spielt gar nicht mal schlecht.“
             Nach sieben Tagen kam jedoch so etwas wie Unruhe
auf. „Nichts gegen Kanada, Onkel Walter“, sagte mein Vater, „scheint mir ein ganz
nettes Fleckchen zu sein“, und legte ein Fullhouse mit Buben und Neunen auf den
Tisch. „Aber wie wär’s denn, mal was anderes zu machen, als immer nur hier im
Haus rumzuhängen und Karten zu spielen?“
             „Was denn zum Beispiel?“, fragte Onkel Walter.
             „Wir könnten runter nach Reno, um dort Karten
zu spielen. Ich hab’ gehört, die Casinos dort sollen zu dieser Jahreszeit ganz zauberhaft
sein.“
             „Scheinen mir ganz vernünftig, deine
Verwandten“, ließ sich Tante Paula vernehmen, nahm ihre Zigarre aus dem Mund
und konterte das Blatt meines Vaters mit drei Damen und zwei Assen. Sie strich
den Topf ein, stand auf und buchte Plätze in einem Überlandbus, der uns am
folgenden Tag nach Reno in Nevada bringen würde.
     
    „Mal was Neues, so ’ne Schlägerei in ’nem Bus“, sagte
Onkel Catcher, als der Greyhound am zentralen Busbahnhof in Reno stoppte.
             „War aber völlig unnötig, Catcher. Die Männer
hatten nur gefragt, ob sie dir ’n Bier anbieten dürfen.“
            
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