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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun
Autoren: Iris Kammerer
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PROLOG
    Gaius Cornelius Cinna, Sohn des Gnaeus, Urenkel des großen Pompeius, Nachkomme einer langen Reihe illustrer Vorfahren, blinzelte die Nässe von seinen Wimpern. Der weite Übungsplatz lag im Schatten tief hängender Wolken, und Nieselregen hatte die Oberfläche zu einer dünnen Schlammschicht aufgeweicht. Die Stiefel schmiegten sich klamm um die Füße, und doppelt schwer hing der Umhang von den Schultern. Seit acht Monaten verrichtete Cinna Dienst als senatorischer Tribun, als rechte Hand des Legaten, der die beiden in Mogontiacum am linken Ufer des Rhenus stationierten Legionen kommandierte. Seit acht Monaten nagten trübes Wetter und Langeweile an Cinna und malten verdrießliche Schatten auf seine Stirn. Der Norden des Imperiums schien aus nichts als bewaldeten Hügeln und morastigen Tälern zu bestehen; ein kühler, verregneter Sommer, der immer wieder von tosenden Gewittern unterbrochen worden war, ging nahtlos in einen noch kühleren, noch verregneteren Herbst über. Missmutig verzog Cinna das Gesicht, während sein Blick über die Rekruten schweifte, deren Eignung für die kämpfende Truppe er beurteilen sollte.
    Eine einzelne Stimme bellte Befehle über den Platz. Die jungen Soldaten bewegten sich in Formationen, bildeten Reihen, Linien, Keile, ordneten sich in Blöcken. In ihren Kettenhemden und Helmen wirkten sie wie mechanisches Spielzeug aus Alexandria, das, einmal aufgezogen, seine Bewegungen abspulte.
    In seiner Nähe, am Rande des Platzes, hatten sich zwei Centurionen breitbeinig aufgebaut, die Helme am Gürtel befestigt und die Mänte! über die Schultern zurückgeworfen; während der eine die Rekruten mit scharfen Kommandos vorantrieb, beobachtete der andere, größere das Treiben stumm mit verschränkten Armen. Die Kühle dieses regnerischen Nachmittags schien den beiden nichts auszumachen.
    Der größere Centurio erwachte aus seiner Starre und trat vor den Tribun, der die Hände in die Seiten stemmte, um in dem langen, dunkelroten Mantel stattlicher zu wirken.
    »Ich hoffe, du bist zufrieden, Gaius Cinna«, begann der Hauptmann. »Die Männer sind in guter Verfassung. Die meisten können inzwischen lesen und schreiben, und der Umgang mit Waffen fällt ihnen leichter, als ich zunächst befürchtete.«
    Der Tribun schaute in das kantige Gesicht des Centurios. »Wann sind sie in Mogontiacum eingetroffen?«
    »Im Frühsommen« Der Hauptmann zog die Brauen hoch. »Vor drei Monaten.«
    »Sie machen sich gut. Wir sollten sie die Nahkampfübungen ableisten lassen, bevor wir die Liste durchgehen.«
    Einer der Gefreiten, die den Tribun in respektvollem Abstand flankierten, trat heran und zog einen Stapel Wachstafeln unter seinem Umhang hervor. Mit einem knappen Zuruf hieß der Centurio seinen Kollegen die Soldaten neu formieren. Nach einem weiteren Befehl teilten sich die Männer in zwei Gruppen, die sich etwa zwanzig Schritt voneinander entfernt aufreihten.
    Ein heller Ruf brachte sie in Bewegung. Die Schilde vor sich haltend, rannten sie aufeinander zu, die Holzschwerter gezückt. Krachend schlug Holz auf Eisen. Beide Fronten drängten mächtig gegeneinander; doch ohne den Schub weiterer Reihen hatte dieser Druck wenig Wirkung. So wogte die Linie dröhnend hin und her, und die Soldaten stachen mit ihren Schwertern aufeinander ein. Vereinzelt gellten wütende Schreie.
    Der Tribun ließ sich die Namen verlesen, der Centurio wies auf die entsprechenden Soldaten. Dann wechselten sie Blicke, die nach kurzer Zeit mit einem gemeinsamen Kopfnicken beendet wurden, und der Gefreite machte ein Zeichen hinter den jeweiligen Namen.
    Eine der beiden Schlachtreihen schob sich keilförmig vor. Geschrei erhob sich, und die bedrängte Reihe wich auf ganzer Linie zurück, um die Formation zu halten. Doch an der Schwachstelle gab sie nur umso mehr nach.
    »Was ist da los, Centurio?«
    »Sosius Valens, Tribun.« Der Hauptmann verzog das Gesicht. »Er ist mit dem Griffel besser als mit dem Schwert.«
    Der Tribun musterte ihn scharf, als ein weiterer Ruf die Reihen auflöste. Die Männer wichen voreinander zurück.
    »Was willst du mir damit sagen?«
    »Dass er ein exzellenter Schreiber ist, der fehlerlos rechnen kann und dessen Disziplin nichts zu wünschen übrig lässt – aber ein feuriger Krieger ist dieser Valens nicht.«
    »Und wenn er doch einmal in die Verlegenheit kommt, kämpfen zu müssen?«
    Der zweite Centurio hatte die Rekruten paarweise zusammenbefohlen und hieß sie sich zu Fechtübungen aufstellen.
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