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Der Fluch vom Valle della Luna

Der Fluch vom Valle della Luna

Titel: Der Fluch vom Valle della Luna
Autoren: Rosa Cerrato
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NACHT UND REGEN
     
    Genua ist in Finsternis gehüllt. Ein heftiger Sommerwolkenbruch wütet mit der stürmischen See um die Wette, deren Grollen ganz nah zu hören ist. Die Gischt peitscht bis in den Corso Italia, wo der Alte gerade seinen Wagen abgestellt hat. Er bemerkt den Regen kaum, der auf ihn niederprasselt und ihn binnen Sekunden durchweicht. Er blickt sich um, die Straße ist menschenleer. Er steckt die Hände in die Taschen. Als er sich in Bewegung setzt, fällt das Licht einer Straßenlaterne auf sein verzerrtes Gesicht. Blanker Hass. Feixend umklammert er den Messergriff.
    Dir werd ich’s zeigen, dämlicher Schwachkopf. Wolltest mich in die Falle locken wie ein Opferlamm. Aber du sollst Giacomo Pisu kennenlernen – ach was, kennenlernen, Blut wirst du spucken und krepieren ...
    Gedankenversunken erreicht er den Zebrastreifen, der zur Chiesa di San Giuliano hinabführt. Dort unten vor der Kirche ist der Treffpunkt. Keine Menschenseele, und dazu schüttet es wie aus Eimern. Perfekt für das, was ich erledigen muss. Er hat die Mitte des Zebrastreifens erreicht, den Blick in die vom prasselnden Regen verschwommene Dunkelheit jenseits der Straße gerichtet. Als er das Motorengeräusch näher kommen hört und merkt, dass es beschleunigt, statt abzubremsen, ist es zu spät. Ein dumpfer Aufprall. Dann Finsternis.
     
    »Ist alles gut gelaufen? Ist er ...« »Tot? Ja, verreckt ist er. Ich hab dir doch gesagt, mach dir keine Gedanken. Es ist alles glattgegangen, du musst nicht weinen.« »Ich weine vor Freude. Ich fühl mich sofort besser, weißt du? Ein Gefühl ist das ... Als hätte ich jahrelang kaum Luft gekriegt, gerade genug, um nicht zu sterben, und jetzt bekäme ich reinen Sauerstoff.« »Das wird noch besser, glaub’s mir. Das ist erst der Anfang. Ich hab beschlossen, reinen Tisch zu machen. Du kannst dir die Lungen so richtig vollpumpen, schwindelig wird dir werden vor Sauerstoff, und es wird immer schöner. Du hast es verdient, und sie haben’s auch verdient.«

SECHS MONATE SPÄTER
     
    Seit einer Weile hat der Mann ein komisches Gefühl. Als würde jede seiner Bewegungen von einem Blick verfolgt. Er spürt ihn im Nacken, im Rücken. Es macht ihn ganz kirre. Wie eine Schwäche, ein Zeichen, dass er alt wird. Was ist los mit mir? Macht mich der Prozess so nervös, ehe er überhaupt begonnen hat? Dazu wird es mit Alice immer schlimmer, die ist völlig neben der Spur, da muss man was machen. Giancarlo ... Wenn ich daran denke, wie stolz ich war, als er geboren wurde, und jetzt habe ich den Feind im eigenen Haus. Er seufzt. Umklammert die Autoschlüssel, beugt sich kurz übers Geländer und sieht das Treppenhaus hinab. Noch so viele Stockwerke. Jeden Tag geht er die Treppe zu Fuß bis in die Garage hinunter, um fit zu bleiben.
    Das Licht erlischt, flackert wieder auf. Dieser dämliche Hausmeister schafft es noch nicht mal, die Glühbirnen zu wechseln. Wozu bezahlen wir den eigentlich! Was ... Nein, nein, ahhhhh ... Der Sturz in den Treppenschacht, der Aufprall des Kopfes auf dem Fußboden. Wie eine reife Melone, die zerplatzt. Das Licht kehrt zurück, und auch die Stille.
     
    »Du hast es wirklich getan? Aber bist du sicher, dass er ...« »Ich hab’s kontrolliert. Auch wenn er nicht tot ist, wird er’s nicht überleben. Und sollte er doch überleben, hat er nichts gesehen. Keine Sorge, Anselmo ist auch weg. Mit ihm hab ich auch abgerechnet.« »Ich fasse es nicht. Und das war wirklich so einfach?« »Ja.«

I
     
    »Ciao, Nelly. Alles klar?« Sandras Stimme am Telefon klang wie immer, und doch konnte Commissario Nelly Rosso eine leise Unruhe heraushören.
    »So weit schon, meine Liebe. Und bei dir, alles okay?« Ein Schweigen, ein Sekundenbruchteil zu lang, und dann dieses untypische Zögern in Sandras Stimme, als sie wieder zu sprechen anhob ...
    »Ich muss dich sehen. Wann kommst du heute Abend aus dem Präsidium?«
    Nelly warf einen Blick auf die Wanduhr mit dem vergilbten Zifferblatt. Fünf Uhr. Draußen war es bereits dunkel. Das Neonlicht ließ die grünlichen Wände ihres Büros noch frostiger erscheinen. Es war Ende Januar und der Frühling noch weit weg. Eine heftige Sehnsucht nach Sonne und Licht durchfuhr sie wie ein körperlicher und seelischer Schmerz. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und abgehauen, weit weg und für lange, lange Zeit, vielleicht mit Sandra oder auch allein, wieso nicht.
    »Wo bist du gerade?«
    »Bei der Zeitung.«
    »Wenn’s dir passt, sehen wir uns in einer
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